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185 - TANZ - Schlafende Frau - Rainer Behr

Filmausschnitt "SCHLAFENDE FRAU" von Rainer Behr • © Tanztheater Wuppertal Pina Bausch

 

 

von Dietmar Wolfgang Pritzlaff

Wegen Corona wurden in 2021 alle Vorführungen des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch abgesagt, aber ein neues Stück war inszeniert und einstudiert worden und wollte gesehen werden, wollte hinaus in die Welt: Rainer Behrs Choreografie „SCHLAFENDE FRAU“ mit dem Tanztheater Wuppertal Pina Bausch.
Kurzerhand wurde ein Livestream zur Uraufführung: die filmische Version des Stückes am 24.09.2021.

Ein Kollege schrieb im Internet, ich zitiere: „…überfrachtet...“ und „Das Stück will zu viel…“. Ich muss gestehen, mir ging es beim ersten Schauen nicht anders. Oder war das dem künstlerischen Anspruch des Filmes geschuldet, zu nah am Geschehen zu sein?
Im Theater sieht man immer die volle Bühne. Im Film dagegen gibt es manchmal nur ein Gesicht, einen Ausschnitt, eine Bewegung die gezeigt wird.

Der Film „versuchte“ das Bühnengeschehen so nah, wie man eben sonst nicht herankommt, einzufangen. Viel zu oft mit dynamischer Kamera. Obwohl schon eine Bewegung aufgenommen wurde, wackelte das Bild der Handkamera. Schöner wäre gewesen, wenn eine starre Kamera auf einem Stativ auch öfters die ganze Bühne aufgenommen hätte, um den Zuschauern einen Gesamteindruck zu verleihen und er oder sie sich entscheiden kann, wohin der Blick geht, welchem „Treiben“ man auf der Bühne folgen möchte. Aber das ist nur eine Kritik an der Filmtechnik. Das ist der größte Unterschied von der Bühnenfassung zur Filmversion.

 



Standbild aus der Filmversion "Schlafende Frau" • Foto © Tanztheater Wuppertal Pina Bausch

 

Bei der Bühnenfassung führt der Zuschauer selbst Regie und kann die gesamte Bühne überblicken. Wenn zu viele Aktionen auf einmal dargeboten werden, wie schon bei Pina Bausch üblich, können die Zuschauer selber entscheiden, was sie im Blick halten möchten. Das wurde im Film den Zuschauern abgenommen und die ausgewählten Bilder einfach vorgesetzt.

Das Stück selbst ist eine Herausforderung. Für den Choreografen und die Tänzer,*innen, wie für die Zuschauer. Rainer Behr, der Choreograf, schlüpft in die großen Fußstapfen von Pina Bausch und ich muss einfach, ganz subjektiv sagen: „Gelungen!“ Das Stück hätte auch von Pina Bausch sein können, ohne abzugucken oder nachzumachen. Eine bemerkenswerte Hommage. Das Stück hält jedem Vergleich stand und gehört mit einer Spieldauer von 2 Stunden und 30 Minuten inklusive einer Pause zu den eher kürzeren Werken des Tanztheater Wuppertal.

Rainer Behr, der schon seit 1990 als Gasttänzer und 1995 als festes Ensemblemitglied beim Tanztheater Wuppertal Pina Bausch tanzte und schon 1989 seine ersten Choreographien inszenierte, ist hier in „SCHLAFENDER FRAU“ ganz nah bei Pina Bausch. Man meint sogar die Fragen im Hintergrund zu hören, die Rainer Behr vielleicht in den Proben seinen Tänzer*innen gestellt haben mag, um auch die Bausche Arbeitsweise einfließen zu lassen.

 



Standbild aus der Filmversion "Schlafende Frau" • Foto © Tanztheater Wuppertal Pina Bausch


 

Herausgekommen ist ein beeindruckendes Werk, das manchmal überbordend den Zuschauer zu erschlagen droht. Aber jeder Zuschauer und jede Zuschauerin kann wie sonst auch, sich etwas aus dem Bauschen-Kosmos, der auf der Bühne gezeigten Geschehnissen aussuchen, betrachten und verfolgen.
Und plötzlich kommt wieder ein ganz stiller Moment und alles beruhigt sich wieder, spannend und geheimnisvoll.
Die Tänze sind wieder kraftvoll und ausdruckstark. Es kommen in dem Stück auch Sitztänze und Tänze im Liegen vor, oder geschehen auf Stühlen, Tischen oder auf dem Bühnenboden.

 

Standbild aus der Filmversion "Schlafende Frau" • Foto © Tanztheater Wuppertal Pina Bausch

 

Bausche Anleihen gibt es zu Hauf in diesem Stück. Videos werden gezeigt, außergewöhnliche Musikrichtungen werden kombiniert, es wird viel englisch, französisch, deutsch und japanisch gesprochen. Es wird gesungen, geflüstert und geschrien, gerannt und gekrabbelt, die Bühne mit allerlei Kram „zugemüllt“ und wieder gereinigt, der Bühnenboden wird dabei zu einem Kunstwerk. Er tut sich auf, als großes tiefes Rechteck und schließt sich wieder, fast lautlos. Eine Schleifmaschine, eine Windmaschine, Gestelle mit Scheinwerfern und ein ganzes Scheinwerfer-Knäuel, dass sich vom Bühnenhimmel auf die Bühne senkt und einen Tänzer verfolgt, spielen eine Rolle. Eigentlich fehlt nur noch ein lebendes Tier auf der Bühne, dann wäre der Bausche Kosmos in seiner Gesamtheit eingefangen.

Das Stück ist ein Dreiteiler mit Prolog, Teil 1 und Teil 2 und ja noch ein Ende. Im zweiten Teil entdeckt man sogar ein paar Wiederholungen, ganz nach Bauscher Art.

Die schlafende Frau am Anfang, legt sich am Ende wieder. So schließt sich der Kreis.

Auffällig ist das Fehlen der Tänzerin Julie Shanahan. In der Filmversion spielt sie die schlafende Frau. Für die Bühnenversion ist sie durch die Tänzerin Taylor Drury ersetzt worden. Julie Shanahan ist kurz vor der Premiere erkrankt. Bis auf einen Filmausschnitt sieht man nichts von ihr. Eigentlich sitzt sie persönlich an einem Tisch und tanzt dann. Der Tisch und der Stuhl stehen auf der Bühne, aber bei der Premiere bleibt der Stuhl unbesetzt. Ein Film ihres Wirkens an jenem Tisch, wird im Bühnenhintergrund gezeigt. Ein genialer, kreativer Einfall. So ist Frau Shanahan doch noch im Stück zu sehen.
Wie gut das es schon die Filmversion gab, denn auch das Bühnenloch wird bei der Premiere nur auf Film gezeigt. Ein Fehler in der Technik, aber das wird wohl für die weiteren Aufführungen noch behoben werden.

Das Stück mit hämmernden Elektrosounds unterlegt, beginnt still und wird immer lauter und lauter. Es steuert einem Weltuntergang entgegen. Der Müll auf dem Bühnenboden im Stück könnte unsere gesellschaftlich verantwortete Vermüllung unserer Erde bedeuten und wenn alles gesagt und alles ausprobiert wurde, mal mit sinnreichen, mal mit scheinbar sinnlosen Übungen, dann tritt wieder Stille ein.
Die wirklich gelungene, leichte und lustigste Szene ist ein Paar, dass pantomimisch, ihr Leben darstellt, welches von einem Mann dazu ins Mikrofon erzählt wird.

Wenn man die Filmversion kennt, kommt einem die Pause überflüssig vor. Man wird herausgerissen aus sämtlichen Emotionen tiefer Gefühlswelten, um danach nur noch eine halbe Stunde das Ende zu erleben. Man muss sich erneut einlassen. Das wäre ohne Pause durchgängiger und nicht so zerrissen vom Gefühl her. Vielleicht sollte jemand auch die Pause ansagen, wie in Pina Bausch-Stücken. Die Zuschauer wussten erst gar nicht, was sie machen sollten, also wurde heftig Applaus gespendet.

Die meist elektronische Musik stammt zum Beispiel von der Elektro-Performance-Künstlerin Laurie Anderson, Bohren & der Club of Gore, Ben Frost, Floating Points und dem London Symphony Orchestra, um nur einige zu nennen.

Die Kostüme sehen aus, wie aus dem Fundus zu dem Endzeit-Science-Fiction-Film Mad Max, als aus einenm Tanzabend, aber passen zu der Grundstimmung des Stückes.

Woher der Titel SCHLAFENDE FRAU stammt, erklärte der Choreograf Rainer Behr in einem Interview mit Carmen Kovacs, Operndramaturgin an der Deutschen Oper am Rhein, so:
"Irgendwann im Laufe des Prozesses hatte ich nur die Damen auf der Probe und Andreas Eisenschneider (Musik) hat uns für diese Probe keinen Musiktitel abgespielt, sondern eine Tonaufzeichnung einer schlafenden Frau, und zwar die Aufzeichnung ihres vollständigen, nächtlichen Schlafs. SCHLAFENDE FRAU haben wir also in dieser Probe zu einem Impuls gemacht, auf den wir reagiert haben. Daraus ist dann Material entstanden, das im Stück gelandet ist. Obwohl die Schlafgeräusche letztendlich nicht mehr im Stück sind, hat die schlafende Frau im Titel überlebt, weil sie mir einen weiten und sehr reichen Assoziationsraum eröffnet."
(aus dem Programmheft zum Stück)

Alles in allem aber ein nicht leicht zu verdauendes Stück Tanztheater, welches uns Herr Rainer Behr da beschert, aber nie war ein neues Stück aus den Jahren nach Pina Bauschs Tod näher an den älteren Werken der Bausch und ist doch merkwürdig anders, seltsam bewegend und aufwühlend. Ein Endzeit-Stück, eine Endzeit-Vision mit großen Gefühlen und kleinen Gesten.

Die Uraufführung der SCHLAFENDEN FRAU wurde stürmisch mit Applaus bedacht und Standing Ovation.

 

 

Aus dem Tanzabend – 3-teilig  als Livestream ohne Pause - ca. 2 Std. 11 Minuten
oder als Bühnenfassung – ca. 2 Std. 30 Minuten inklusive einer Pause

Prolog

Eine Windmaschine, grün angestrahlt, läuft / eine Tänzerin liegt auf ihrem Bauch auf einer Ledercouch / der Tänzer Andrey Berezin liegt mit dem Rücken auf dem Bühnenboden / der Mann steht auf und rollte Stative auf die Bühne, er setzt sich an einen Tisch auf dem Steine liegen, er nimmt einem durchlöcherten Werkstück und tut so, als ob er daraus trinkt, er steht wieder auf, stützt sich auf die zwei Stative und rollte sie nach hinten, er öffnet zwei Türen, dahinter ein Bildschirm auf dem ein Film mit wehenden Zweigen, es sieht aus als ob es ein Fenster nach draußen ist, er rollt die Stative an die Seite, eine Windmaschine bläht seinen Morgenmantel auf, er kehrt zurück zum Tisch und schleift im Stehen auf einer Schleifmaschine die Steine, er malt mit einem Stück Kreide auf dem Tisch, dann stapelt er die Steine zu einem Steinstapel aufeinander, er setzt sich wieder, spricht zu sich selbst und pustet Staub aus seiner Hand, er steht wieder auf, nimmt eine Wasserwaage und benutzt sie als Waffe, mal Gewehr, mal Schlagstock, er nimmt einen Eimer und schleift den Eimer an der Schleifmaschine, er setzt sich wieder und streicht mit der Hand über den Tisch, er steht auf und tanzt ein Solo, dann nimmt er eine Lastenkarre, hebt die Ledercouch mit schlafender Frau darauf an und setzt die Couch an eine andere Stelle der Bühne wieder ab, der Mann setzt sich wieder an den Tisch, nimmt einen Akku-Schrauber in die Hand und lässt ihn in der Luft laufen, er bewegt dazu seinen anderen Arm, wie ein Roboter, er umarmt ein Werkstück aus Metall, dann steht er auf und setzt sich zu der schlafenden Frau auf die Couch, dabei lässt er immer wieder den Akkuschrauben laufen / die schlafende Frau erwacht und setzt sich auf / der Mann horcht an einem weiteren Werkstück / die Frau legt sich wieder auf die Couch / der Mann hebt die Liege wieder an und stellt sie nach hinten / der Mann stellt einen aus Werkstücken zusammengeschweißten „Hund“ auf die Bühne vor die schlafende Frau, er zieht sich wieder den Morgenmantel an und stellt einen zweiten Bildschirm unter dem ersten an auf dem ein Kaminfeuer brennt / der Mann setzt sich etwas lesend auf einen Stuhl, er liest von oben nach unten aus einem Japanischen Text, eine Stimme aus dem Off spricht den japanischen Text, den der Mann gerade liest / Bühnenarbeiter räumen Bildschirme von der Bühne / eine Nebelmaschine im Hintergrund lässt Nebelschwaden über den Bühnenboden wabern / der Mann und die schlafende Frau gehen ab / Licht aus

 

Teil 1

Ein Mann steht auf der Bühnenempore mit einer Atemschutzmaske auf dem Kopf und einem schweren Mantel, er fährt mit einem Lastenaufzug nach unten auf die Bühne, er hält einen Leuchtstab in der Hand, die Bühne ist voll Nebel, der Bühnenboden sackt ab und es wird ein rechteckiges Loch sichtbar, der Mann steht vor dem Bühnenloch und sieht den Nebelschwaden zu, wie sie in das Loch „hinabfließen“ / die Tänzerin Julie Anne Stanzak tanzt ein Solo im schwarzen Kleid / Tänzer*innen kriechen über die Bühne / der Nebel ist verschwunden und auch das Bühnenloch / eine Tänzerin mit angesteckten langen Rastazöpfen-Extentions tanzt ein Solo mit Top und langem Rock in hellbeige / eine andere Tänzerin geht mit Ästen in ihren Haaren über die Bühne, ein Mann leuchtet sie mit einer Lampe an, sie führt eine Gruppe Tänzer*innen mit langen Wintermänteln an, die langsam über die Bühne gehen und der Tanzenden bei ihrem Solo zusehen / eine Frau zieht einen Tisch an einem Seil über die Bühne / die Gruppe geht ab / ein Mann und eine Frau stellen zwei Notebooks auf den Boden und schaltet sie an, die Computer unterhalten sich miteinander (künstliche Computer-Stimmen) / ein Frau mit einer Augmented-Reality-Brille sitzt an einem Tisch, die Frau nimmt die Brille ab und tanzt ein Solo / Tänzer*innen liegen auf der Bühne und werden von Scheinwerfer-Gestellen stückweise in die Bühnenmitte geschoben / Mann und Frau sitzen an einem Tisch, nur die Frau trägt eine AR-Brille, auf einem Bildschirm hinter ihnen läuft ein Unterwasservideo, Mann und Frau sprechen gemeinsam Texte, die Frau geht von der Bühne / Tänzer*innen gruppieren sich um den Tisch mit dem Mann und räumen auf / ein Scheinwerfer-Knäuel senkt sich auf die Bühne herab, mal dieser, mal jener gehen an und aus / Frau tanzt Solo = „Robotertanz“ / Licht aus / Licht wieder an, ein Mann läuft mit einem Leuchtstab hin und her, er schaltet die Scheinwerfer an den Gestellen an / Frau rennt, legt sich dann, alle anderen rennen hin und her, setzen sich, legen sich, für einen Moment, springen wieder auf und legen sich woanders hin, einige halten sich die Ohren zu, die Musik wird immer lauter / eine Frau springt auf einen Tisch, einige Tänzer*innen zerren und ziehen und rollen über den Rücken des Anderen / ein Stuhl wird über die Bühne geschleudert / einige Tänzer*innen bringen Tüten, Planen mit Lumpen darin auf die Bühne (= Wegwerfgesellschaft?), alles wird herumgeschmissen / Mann tanzt Solo / 2 Männer tanzen / einzelne gehen ab, andere tanzen weiter / eine Gruppe Tänzer*innen bringt Stühle auf die Bühne und stapeln sie über einen Mann der auf dem Boden liegt / Bühnenarbeiter blasen mit großen Windmaschinen den „Müll“ von der Bühne, zurück bleibt der Mann mit dem Stuhlberg über sich / die Tänzerin Nazareth Panadero legt noch einen Stuhl oben auf, dann atmet sie stoßartig ein und aus, immer schneller, sie steht vor dem Stuhlberg und sagt: „Black, Nada, Ende, vorbei, Schluss, Finito, Nothing, Ende, Ende“, ein Handy klingelt, sie holt es hervor und eine sehr schnell laufende Tonbandstimme ist zu hören (kaum verstehbar), dann singt die Tänzerin und geht ab / eine Frau steht vor dem Stuhlberg und sagt ins Mikro: „Ende, Addio,…“ wie ein Gespräch an einem Grab und geht ab / eine Frau sitzt auf einem Stuhl ganz vorn an der Bühne im Scheinwerferlicht, ein Mann im Hintergrund sagt in ein Mikrofon: „Verlangt, dass das Mikro eingeschaltet wird“, er nimmt das Mikro auseinander, traurig, wütend, schreit, dass das Mikro nicht funktioniert / der Mann unter dem Stuhlberg wird von einem Tänzer befreit und legt ihn dann oben auf die Stühle / die Tänzerin Julie Anne Stanzak tanzt Solo mit einem bunten Umhang, sie schüttelt ihre Haare, es staubt daraus / die Bühnenrückwand öffnet sich von unten einen Spalt breit, daraus kriechen Tänzer*innen heraus, stehen auf und gehen rückwärts nach vorne / das Loch im Bühnenboden entsteht wieder, der Mann auf dem Stuhlberg wird nach unten gefahren / alle Tänzer*innen stehen vor dem Loch, wie bei einer Einäscherung, dann gehen alle langsam ab / eine Frau hockt vor dem Loch und sagt: „Ich mag dich nicht. Ich kleb dich zu von oben bis unten, verstehst du? Ich mach dich fertig. Ich scheiße Dich sowat von zu, dass Du keine ruhige Minute mehr hast. Begreifst Du nicht? Ich kauf dich einfach, dann habe ich dich. Dann gehörst Du mir“ / das Bühnenloch schließt sich wieder / die Frau geht ab / alle Tänzer*innen auf Stühle, alle reden, regen sich auf in Richtung Publikum, schreien, toben, dann kippen alle Tänzer*innen nach vorne über, schieben dabei knallend die Stühle weiter nach hinten und verschwinden im Bühnendunkel, dann gehen sie ab, die Stühle bleiben stehen / ein Mann auf der Empore spricht und schreit später: „The more Time I spend away from people, the more I hate people!“ / eine Frau trägt einen kleinen grünen Pflanzenzweig über die Bühne, die Pflanze wird an die anderen Tänzer*innen weitergereicht, ganz behutsam und zart / ein Mann hält im Vordergrund seine linke Hand in die Luft, eine Frau steht vor der Hand und reibt ihre Stirn und Gesicht an der Hand des Mannes, sie will Streicheleinheiten, die sie sich selber holt, sie sagt: „I want… to meet you… Say something! Listen! …here and here…“ / ein Mann desinfiziert die Bühne und die Beine der Tänzer*innen / eine Frau legt die Pflanze auf die Bühne, alle gehen ab, außer dem Desinfizierer / der Desinfizierer zieht seinen Mantel aus, darunter trägt er noch einen Mantel und setzt sich auf einen Stuhl und tanzt einen „Sitztanz“, dazu erklingt Saxophonmusik und Wassertropfen-Geräusche / ein Mann bringt einen Tisch auf die Bühne / Julie Shanahan wischt den Tisch, raucht eine Zigarette, trinkt Wasser, legt ihre Beine auf den Tisch, räkelt sich am Tisch, tanzt Sitztanz / alle anderen Tänzer*innen hängen ihre Mäntel auf einen Kleiderständer / ein Mann desinfiziert die Bühne, eine Frau putzt Bühne, ein Mann putzt Bühne / ein Mann bringt eine Schaufensterpuppe mit rotem Kleid auf die Bühne / ein Videofilm wird auf die Bühnenrückwand projiziert, Julie Shanahan steht versteckt hinter der Schaufensterpuppe ohne Arme, Julie übernimmt die Gesten mit ihren Armen und sagt: „Wichtige Durchsage: es lauert überall Gefahr, aber auch Schönheit…“ Sie entkleidet die Schaufensterpuppe / alle Tänzer*innen räumen auf, dann bleiben sie wie erstarrt sehen / ein Mann tanzt Solo / ein Paar steht zwischen Scheinwerfer-Gestellen, ein Mann spricht, das Paar zeigt pantomimisch das Gesprochene: „Happy Family…“ / eine Frau sagt „All your dreams come true“, sie wird mit Boxerhandschuhen, Knieschonern und Stoffen von Tänzer*innen ausstaffiert, lacht und erzählt weiter, irgendwann liegt die Frau am Boden, ein Mann tritt ihr ein paar Mal in den Bauch, die Frau spricht weiter in ein Mirko, die Tänzerin Nazareth Panadero hilft der liegenden Frau auf und fragt die Frau: „What are you doing? Are you ok?“ / ein Mann spricht ins Mikro: „Here we are at last… It’s the place of homecooking, homegarding, homescooling, hometrainig… Mad is the new happy! Youre not alone…” dann singt er: „Oh my darling, Clementine“ und geht ab / Licht aus


Teil 2

Licht an / eine Frau und ein Mann mit Aluminium umwickelten Köpfen betreten die Bühne, die Stirn der Frau ziert eine blaue Linie, sie sagt: „In Hinterpommern liegt der Demantberg, der hat eine Stunde in die Höhe, eine Stunde in die Breite und eine Stunde in die Tiefe; dahin kommt alle hundert Jahr ein Vöglein und wetzt sein Schnäbelein daran, und wenn der ganze Berg abgewetzt ist, dann ist die erste Sekunde von der Ewigkeit vorbei.“ (aus dem Märchen „Das Hirtenbüblein“ der Brüder Grimm) und „Wenn die Arme des Vogels abgeschnitten werden, werden auch seine Beine abgeschnitten, dann stirbt er vor Langeweile, weil er nicht sitzen kann.“ / Nazareth tanzt Solo und malt sich dabei einen blauen Strich auf die Stirn, dann sagt sie: „Der Drachen isst deine Hunde.“, schlägt sich selbst auf die Wange, sie holt einen roten Kasten und steckt ihren Kopf hinein, ruft einem Mann der auf die Bühne trat zu: „Hier ist kein Platz für zwei“ und steckt den Kopf wieder in die Kiste, sie erzählt dem Mann mit einem Leuchtstab etwas, sie schüttet Imaginäres aus einem Blecheimer und tanzt wieder, setzt sich auf einen Stuhl, ein Scheinwerfer strahlt sie an, sie erzählt: „Ich gehe raus aus meinen Körper und fly away“ / Männer ziehen liegende Frauen an ihren ausgestreckten Armen über die Bühne, Liegende stehen auf, werden von Männern um ihren Kopf gewunden und wieder hingelegt / Paare tanzen, mit Aluminium-Rohren in den Händen, umklammert zusammen (= Klammerblues mit Rohren) / Julie Shanahan tanzt ihr Solo dazu / eine Frau schreitet über die Bühne, sie trägt nur einen hochhackigen Schuh, der andere Fuß ist barfuß, ein Mann legt der Frau einen Stein bei jedem Schritt unter ihren nackten Fuß, sodass die Frau nicht humpeln muss / Nazareth trinkt aus einer Tasse und isst ein Stück Torte, sie sagt: „Ich genieße es…“ / ein Bildschirm mit Flimmern wird auf die Bühne gerollt / Frauen laufen auf allen Vieren über die Bühne und beißen einen Stofffetzen und krabbeln damit davon, dazu spricht ein Mann / Nazareth sagt: „Hallo, auf der Erde ist jetzt Winter. Es ist kalt. Es ist dunkel. Also, goodbye! Versprecht euch nicht zu viel vom Ende der Welt“, sie lacht / ein Mann kippt Stühle um und sagt: „Dead, dead, dead…“ / Nazareth sagt: „Ich geh ins Wasser. Ich sehe meine weißen Füße. Ich geh immer weiter. Ich bleib stehen. Ich horche. Dann lass ich mich einfach fallen. Die Kälte spüre ich nicht und ich weiß, wenn ich tief genug tauche, ich werde am Grund die Sonne sehen.“ / andere Tänzer*innen tanzen liegend / Julie Shanahan hält sich einen Leuchtstab vor ihr Gesicht und spricht: „Du glaubst du träumst mich. Wer bin ich dann, eine Marionette? Du etwa nicht? Es geht nicht ums Sterben. Das kann doch jeder.“ / ein Mann mit Stoffstück im Mund krabbelt über die Bühne / ein Paar tanzt dazu / Julie Anne Stanzak tanzt Solo in durchsichtigem Gasekleid / andere Tänzer*innen laufen quer über die Bühne, mal hier hin, mal dort hin / Julie Shanahan steht hinter der Schaufensterpuppe (Wiederholungen aus dem 1ten Teil, wie schon bei Pina Bausch) / die Windmaschine bläst dazu / das Scheinwerferknäuel senkt sich / eine Frau hält ihre Haar mit Stöcken hoch / Nebelschwaden / Scheinwerfergestelle stehen rund um einen Mann im Licht, der Mann entspannt, wie beim Tai Chi / Nebelschaden über dem Bühnenboden / Tänzer*innen mit Aluminium-Masken sitzen um ein Licht-Lagerfeuer / Nazareth sitzt unter dem Scheinwerferknäuel und sagt: „Alles ist gut. Aljosha, ist das wahr? Wir werden alle zurückkommen? Wir alle sehen uns wieder? Natürlich. Wir werden uns wiedersehen. Wir werden uns alles erzählen, was geschehen ist. Alles ist gut!“ / Julie Shanahan tanzt Solo / Bühnenarbeiter stellen Tisch auf die Bühne, vom Anfang, vom Prolog mit Steinen drauf und Schleifgerät / eine Frau legt sich auf die Ledercouch, wie am Anfang , der Mann, Andrey Berezin, setzt sich zu ihr / eine Frau mit Elektro-Leitungen um Hals und Kopf (wie eine Medusa) / Scheinwerferknäuel senkt sich herab und schaukelt über einem Tänzer, der danach greift, er läuft um das Knäuel herum / alle Tänzer*innen tanzen zum Publikum, rennen wieder nach hinten und kommen tanzend wieder nach vorn, ein wildes Durcheinander / alle stellen sich in Reihe vor dem Publikum auf

ENDE

Applaus

 

Standbild aus der Filmversion "Schlafende Frau" • Foto © Tanztheater Wuppertal Pina Bausch


 

„Schlafende Frau“ von Rainer Behr

Choreographie:
Rainer Behr

Termine: Opernhaus Wuppertal
20.01.2022
21.01.2022
22.01.2022
23.01.2022

VVK
25.11.2021

Bühne
Michael Simon
Rainer Behr

Licht Design
Michael Simon

Kostüme
Susanne Stehle

Musik
Andreas Eisenschneider

Produktionsleitung Bühne
Martin Winterscheidt

Produktionsleitung Kostüme
Anke Wadsworth

Assistenz
Annika Kompart

Uraufführung
20. Jan 2022, Opernhaus Wuppertal

Besetzung der Uraufführung:
Emma Barrowman, Andrey Berezin, Jonathan Fredrickson, Blanca Noguerol Ramírez, Milan Nowoitnick Kampfer, Nazareth Panadero, Julie Shanahan, Ekaterina Shushakova, Julie Anne Stanzak, Julian Stierle, Christopher Tandy, Stephanie Troyak, Tsai-Chin Yu

Mit freundlicher Unterstützung der Kostümabteilung und Bühnentechnik der Wuppertaler Bühnen.

Herzlichen Dank an Martin Winterscheidt für seine Bühnenkonstruktionen.
Herzlichen Dank an Falk Bednarzik (Tauchschule Dive in Essen) für die Bereitstellung des Unterwasservideos.

Herzlichen Dank an Hirohiko Soejima für die Auswahl und Lesung eines Textauszugs der „Urashima Tarō“, einer volkstümlichen japanischen Erzählung der Muromachi-Zeit.



eingestellt am: 20.01.2022