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020 - TANZ - wie das Moos... - Pina Bausch

"...como el musguito en la piedra, ay si, si si..."
(Wie das Moos auf dem Stein)
- Ein Stück von Pina Bausch from Tanztheater Wuppertal on Vimeo.
 

 

Pina light – das Stück der kleinen Gesten

"...wie das Moos auf dem Stein..." – Das neue Stück von Pina Bausch

ist der letzte Tanzabend 2009 von Pina Bausch

Am 12. Juni 2009 feierte im Wuppertaler Opernhaus ein neues Stück von Pina Bausch seine Uraufführung. Wie immer noch ohne Titel. Im Programmheft, welches auch keine wirkliche Hilfe ist und auch nicht sein soll, ist nur zu lesen: Uraufführung 2009 – Ein Stück von Pina Bausch. Und wieder strömen die Fans aus aller Welt nach Wuppertal um der großen Choreografin Tribut zu zollen. Pina Bausch, mittlerweile fast 69 Jahre alt, hat ein leichtes, junges Stück Tanztheater geschaffen, in dem auch wieder mal gelacht werden kann.

von Dietmar Wolfgang Pritzlaff

Der neue Tanzabend ist laut Programmheft eine Koproduktion mit dem Teatro Santiago a Mil und dem Goethe-Institut Chile. Das Ensemble rund um Pina Bausch war einmal mehr auf Reisen und hat die Menschen Chiles kennen gelernt.
Eifrige Bausch-Fans wissen, dass jetzt nicht, wie man glauben könnte, ein Stück über Chile dabei herausgekommen ist. Vielmehr kann man Chile in der Auswahl der Musik heraus hören und wird durch kleine Geschichten sichtbar, die sich nicht nur in der chilenischen Lebensart finden lassen. Obwohl einmal ein Tänzer doch in traditioneller Kleidung auf der Bühne sitzt - in einem bunten Poncho.
Waren Pina Bauschs früheren Werke durchzogen von der Wucht zwischenmenschlicher Ausbeutung der Gefühle, Geschlechterkampf und Machtstreben, finden sich diese Elemente nur noch vereinzelt in dem neuen Stück wieder.
Das ist leicht und munter, was sich sogar auf die Länge des Stückes auswirkt. Waren früher drei Stunden und mehr keine Seltenheit, reichen Pina Bausch heute nur noch zweieinhalb Stunden inklusive einer Pause, um einen ganzen Kosmos der Gefühle zu verarbeiten.
Die Bühne wirkt einmal mehr schlicht und einfach, frei nach dem Motto: Weniger ist mehr. Man könnte es mit den Worten der großen Diseuse Georgette Dee sagen: "Mehr ist mehr!"
Wirkliche Fans wird es nicht von den Stühlen reißen, wenn sich der weiße Bühnenboden wie von Geisterhand oftmals in einzelne Stücke auseinanderreißt und tiefe Löcher zeigt. Das wirkt wie Eisschollen die auseinander driften. Ist das Leben erstarrt oder zeigt uns das Stück einen Aufbruch? Das muss jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden. Allerdings hofft der Fan doch auf große Bilder und dramatische Höhepunkte wie z. B. der Tanz im Regen in dem Stück VOLLMOND. der Wasserfall in dem Stück EIN TRAUERSPIEL oder das Schiff aus DAS STÜCK MIT DEM SCHIFF. Leider wird der Zuschauer etwas enttäuscht, denn diese großen Höhepunkte finden hier nicht statt.

Hier sind es eher die vielen kleinen Gesten auf die es in diesem Stück ankommt. Als großes Bild wird mal wieder ein Vorhang herabgelassen auf dem ein Videofilm gezeigt wird. Vor diesem fließenden, reißenden Wasser wird getanzt. Dieser Kunstgriff ist nicht neu, man kennt es aus einigen anderen Stücken, wie z. B. O DIDO oder NUR DU.
Und doch beinhaltet dieses neue Stück einige bemerkenswerte Einzelheiten. So spannt z.B. ein Tänzer ein langes Seil diagonal über die Bühne, um an dem Seil bis zur anderen Seite zu hangeln.
Für eingefleischte Fans wird dieser Tanzabend zu einer Art Quintessenz der Bausch-Stücke. Die Tänzer und Tänzerinnen singen, tanzen und erzählen kleine Geschichten. Auch das ist ein immer wiederkehrendes Element des Tanztheater der Pina Bausch.

Wo sind denn nun die vielen heiteren kleinen Gesten?

Es gibt sie zuhauf in diesem neuen Stück: Ein Mann und eine Frau umarmen sich und werden immer wieder von anderen Männern auseinander gerissen. Eine Frau breitet ihr Kleid aus, ein Mann hält sie, als ob es ein Drachen im Wind wäre. Eine Frau liegt über den Beinen zweier Herren, die ihre Bauchübungen vollziehen. Die Frau feuert sie an. Ein Tänzer lässt eine Geldbörse vor die Füsse eines Paares fallen. Der Mann bückt sich und ist abgelenkt. Der andere küsst in der kurzen Zeit, die ihm bleibt, die Frau. Ein Mann schlägt einen Seidenschal um die Beine einer Tänzerin. Zwei Frauen zeigen wie man mit wenigen Handgriffen ihre BH's unter einem Kleid ausziehen kann, ohne das Kleid auszuziehen. Ein Schlauch macht beim Herumschleudern unheimliche Geräusche. Eine Frau hängt sich an den Hals eines Tänzers. Er schaukelt die Frau vor sich hin und her, wie eine Glocke. Die Herren spucken Korken auf die Bühne, die Damen sammeln sie wieder ein.
Das kommt mal lustig, mal schräg und bizarr daher. Einen roten Faden wird man vergeblich suchen. In allem steckt aber ein Hauch gelebtes Leben, wir müssen nur genau hinschauen, fordert uns Pina Bausch wieder mal auf.

Das Ensemble um die große Choreografin hat sich fast komplett erneuert und verjüngt. Nur ein Tänzer der "alten Schule" tanzt in diesem neuen Stück mit. Er heißt Dominique Mercy und tanzt wieder hinreißend. Sein Paartanz unter Männern ist absolut sehenswert.
Überhaupt tanzt das ganze Ensemble auf hohem Niveau. Mal heiter ausgelassen, mal dramatisch erschöpfend. Die Frauen dürfen wieder ihre langen Haare fliegen lassen und das ist sehr schön anzusehen.
Marion Cito hat wieder eine wunderbare Auswahl der Kostüme getroffen. Sie sind leicht und luftig. Frühlingsfarben für die Damen. Die Herren sind meist in dunkler Kleidung unterwegs. Auch das kennt man ja schon.
Und auch die Geschlechterrollen werden gebrochen. So trägt ein Tänzer lange Ohrringe und fragt das Publikum, als es zu lachen beginnt: "Was ist?" Er nimmt dann die Ohrringe ab und sagt: "Oh, sorry." Ein anderer Tänzer schreitet mit knallroten hohen Stöckelschuhen über die Bühne.

Und endlich kommt auch ein Gruppentanz wieder auf die Bühne. Die Frauen liegen dicht neben einander auf dem Bauch und es wird eine Bewegungsabfolge zur Musik zu einem liegenden Tanz, die Herren weiter hinten auf der Bühne liegend wiederholen diese Bewegungen. Das begeistert und ist einfach wunderschön. So lange waren diese Elemente nicht mehr in einem Bausch-Stück. Unvergessen bleiben diese Bewegungen vom Gleichklang des ganzen Ensembles in Pina Bauschs Stücken NELKEN oder AUF DEM GEBIRGE HAT MAN EIN GESCHREI GEHÖRT. Das neue Stück erinnert auch ein bisschen daran.

Alles in allem ein wunderbarer Tanzabend, der viele der Gemeinsamkeiten vorheriger Bausch-Stücke zu bündeln scheint, nur leichter und lockerer. Das kommt auch von den vielen fremdartigen Musikstücken, die noch lange nachschwingen. Natürlich gibt es wieder stehende Ovationen für Pina Bausch und Ensemble zum Schlussapplauss. Einen Buhrufer gab es auch, aber der ging unter in den vielen Bravorufen.

Die Aufführungen im Opernhaus Wuppertal:
14., 16., 17., 19., 20., Juni 2009

Hier findet man auch den aktuellen Tourenplan und Informationen zu allen Stücken.

Neues Stück 2009 (Arbeitstitel)- von Pina Bausch - "...wie das Moos auf dem Stein...":
https://www.pina-bausch.de/de/stuecke/detail/como-el-musguito-en-la-piedra-ay-si-si-si-wie-das-moos-auf-dem-stein

In Koproduktion mit dem Festival International de Teatro Santiago a Mil
und dem Goethe-Institut Chile

Inszenierung und Choreographie:
Pina Bausch

Bühne und Videoprojektion: Peter Pabst

Kostüme: Marion Cito

musikalische Mitarbeit: Matthias Burkert, Andreas Eisenschneider

Mit: Pablo Aran Gimeno, Rainer Behr, Damiano Ottavio Bigi, Ales Cucek, Clémentine Deluy, Silvia Farias Heredia, Ditta Miranda Jasjfi, Nayoung Kim, Eddie Martinez, Dominique Mercy, Thusnelda Mercy, Morena Nascimento, Azusa Seyama, Fernando Suels Mendoza, Anna Wehsarg, Tsai-Chin Yu

1ter und zweiter Teil:

Beginn der Vorstellung = eine halbe Stunde später, ca. 20.00 Uhr

Frau auf allen Vieren wird angehoben, Frau wimmert, sie wird wieder abgesetzt, Frau hört mit dem Wimmern auf / Frau wird an einer Stange im Kreis geführt / Frauen werden von Männern weggetragen, andere Männer versuchen die Frauen den  Männern wegzunehmen / Frau und Mann umarmen sich, andere Männer versuchen die Beiden auseinander zu ziehen / Frauen beugen sich nach hinten und lassen Steine fallen / Frau trinkt aus Glas und spuckt aus, Mann bleibt unnachgiebig und „füllt“ Frau ab / Frau bekommt eine Zigarette, dann wird sie ein paar Mal zu Boden geleitet / Dominique geht mit einer Handtasche über die Bühne / Mann schüttet Frau Wasser über den Kopf aus einer Flasche, Frau kämmt sich dabei / Risse im Boden werden ganz langsam sichtbar, wie Eisschollen driften sie auseinander, die Tänzer und Tänzerinnen müssen aufpassen nicht in die Löcher zu treten / Frau breitet ihr Kleid auseinander, Mann hält sie wie ein im Wind fliegender Drache / Frau beugt sich über eine Stange die von 2 Männern gehalten wird, dann wird sie woanders hingetragen / 2 Männer machen ihre Turnübungen, Frau liegt über den Beinen und feuert an: 1 – 2 – 3 – 4... bis 10, sie machen Bauchübungen und Liegestützen / Frauen breiten ihre Kleider vor sich aus, ein Mann wirft mit Kartoffeln, Frauen versuchen die Kartoffeln mit ihren Kleidern zu fangen, wie „Sterntaler“ / Solotänze der Frauen mit vielem Haare-Schleudern / Dominique läuft hinter einem Mann her und will ihn fangen, hin und her / Männerpaartanz mit Dominique und noch einem Mann / Frau schiebt sich liegend über die Bühne, ein Mann hinterher / Frau hält ein großes Brett vor sich und reicht eine Tasse ins Publikum, in die erste Reihe / Frau will Zärtlichkeit, Mann weicht aus / ein Mann schlägt einen roten Seidenschal um die Beine einer Frau / ein Mann geht mit einer Frau am Arm, ein anderer Mann will die Frau, wirft dem Mann eine Geldbörse vor die Füße, dieser löst sich von der Frau und hebt die Börse auf, in diesem Moment küsst der andere Mann die Frau / Dominique tanzt seinen Solotanz zu Panflöten-Musik, mit Hosenflattern, wie im Wind / 2 Frauen ziehen unter ihren Abendkleidern ihre BHs aus / Frau kreist mit ihrem Arm durch die Luft, Mann fängt den Arm der Frau und küsst ihn / Frau trägt anstatt eines Kleides, Hemden zusammengeknöpft um ihren Leib / ALLE SITZEN HINTEREINANDER DIAGONAL AUF DER BÜHNE UND GLÄTTEN MIT DEN HÄNDEN DIE HAARE DES VOR IHNEN SITZENDEN, DANN LEHNEN SICH ALLE NACH HINTEN UND WIEDER ZURÜCK / Mann und Frau umarmen sich durch einen verzweigten Ast / Frau schrubbt den Boden mit einer Bürste, damit ihre Haare nicht ins Gesicht fallen, schlägt sie die Haare über einen Ast / ein Mann im Poncho und traditioneller Kleidung setzt sich auf einen Stuhl, im Hintergrund strickt eine Frau einen langen Schal der von 4 weiteren Frauen über die Bühne getragen wird / Musizieren mit einem Schlauch, der durch die Luft geschleudert wird / an einem Seil diagonal über die Bühne, hangeln sich 2 Männer von einer Seite zur anderen / eine Frau hängt an einem Seil, welches an der Wand festgemacht ist und versucht mit aller Kraft sich zu befreien / Frau in einem roten Kleid tanzt ihr Solo / ein Mann schlägt einer Frau Heu aus dem vor sich gehaltenen Kleid / alle tanzen über die Risse im Boden / Tänze mal leicht – mal dramatisch, bis zur Erschöpfung / Frau wird von Mann hochgestemmt, Frau singt la-la-la in ein Mikrofon / ALLE FRAUEN LIEGEN AUF DER BÜHNE UND IM LIEGEN LASSEN SIE IHRE HÄNDE, ARME UND KÖPFE TANZEN – IM HINTERGRUND LIEGEN DIE MÄNNER UND MACHEN DIE GLEICHEN BEWEGUNGEN / Frauen legen sich auf die Rücken der Männer, die Männer stemmen die Frauen wieder aufrecht / ein Mann sitzt auf einem Stuhl und begrüßt die vorbeiflanierenden Damen, von jeder Neuen ist er besonders angetan und lobt und küsst ihre Wangen oder Hände und Arme / Männer tragen Frauen vor sich her / Paartänze wunderschön = eine Geste der Frau, ergibt eine Geste des Mannes und umgekehrt / Frau streckt eine Hand mit Diamantenarmband und Ringen in eine Tüte, sie bläst an einer Seite die Tüte auf / auf dem Bühnenboden sind Teelichter verteilt, ein Mann sagt: das ist das Sternbild der Fische / alle legen sich auf den Bühnenboden und schauen in den Himmel / ein weißer Vorhang an der Rückseite der Bühne wird herabgelassen auf ihm ist ein Video von einem kleinen Wasserfall zu sehen, ein Tänzer tanzt dazu / Frau mit großer Schleife auf der Brust sagt: „Ich bin nicht süß!“ / ein Mann bietet einer Frau einen Stuhl an / Frau wird hochgehoben um Mann trinken zu lassen / ein Mann geht in roten Stöckelschuhen über die Bühne / Dominique kommt mit langen Diamant-Ohrringen auf die Bühne und sagt: „Oh, sorry!“ und nimmt die Ohrringe ab / Frau schaufelt sich mit den Fingern Essen unter einem Tisch in sich hinein / Dominique spielt blinde Kuh / Frau mit verbundenen Augen macht Fotos mit Blitzlicht von der Bühne / Frauen werden von Männern getragen, Frauen greifen nach etwas in der Luft über sich / Frau tanzt Mann an und küsst ihn, der will aber nicht geküsst werden und weicht immer weiter zurück / Frau bedroht mit ihrem Busen einen Mann / eine Frau shamponiert sich ihre Haare an einer Bühnenseite / Frauen werden auf die Bühne geschubst, sie sollen tanzen / eine Frau rollte mit einem Kissen über die Bühne und tanzt / 3 Männer hintereinander liegend ziehen einen schwarzen Mantel über sich und geben dem dahinterliegenden weiter / Frauen und Männer halten eine Weinflasche über ihre Köpfe in die Luft / eine Frau schmeißt Korken auf die Bühne / Männer sitzen auf Stühlen, Frauen sammeln Korken auf, Männer spucken Korken auf die Bühne, die Frauen sammeln / ein Mann folgt einer Frau, sie hält eine Schnur, er einen Ballon / eine Frau sagt: „Wenn ich traurig bin mache ich Sport“ / ein Mann an der Hand einer Frau pfeift laut, dann suchen beide nach jemanden oder irgendwas? / Männer klatschen in die Hände, alle klatschen plötzlich und suchen / Frau hängt sich an den Hals eines Mannes, er lässt sie hin- und herschaukeln, wie eine Glocke / Mann hält einen Hula-Hoop-Reifen zwischen seinen Zähnen, eine Frau im Reifen tanzt nur auf diesem beengten Raum / Früchte wie Äpfel und Bananen werden ins Publikum gereicht / ALLE TANZEN, FAST WIE IN KEUSCHHEITSLEGENDE / ein Mann tanzt mit allen Frauen, Frauen sind „behilflich“ / auf der Bühne wird es duster, alle haben ihren Spass und unterhalten sich und lachen / alle Männer tanzen mit einer Frau / Wiederholungen aus dem ersten Teil, wie üblich / ENDE ///


eingestellt am: 13.06.2009