Online-Redaktion: liesmichnet.de


176 – KUNST - Daniel Spoerri, Raketenstation

Objekt von Daniel Spoerri • Foto © Dietmar Wolfgang Pritzlaff

 

 

von Dietmar Wolfgang Pritzlaff

 

Zitat: Auszug aus dem Begleittext der Langenfoundation
(Christiane Schilling, Press Office) zur Ausstellung:
Daniel Spoerri – „Ein Museum der Unordnung“


Die Langen Foundation ist ein Ort, der aus einer großen Leidenschaft für das Sammeln, Erleben und Bewahren von Kunst entstanden ist.
Mit einer Ausstellung des Künstlers Daniel Spoerri (*1930 in Rumänien) präsentiert die Langen Foundation einen der bedeutendsten Vertreter der Objektkunst, dessen künstlerisches Werk auf den Fundstücken und den Rudimenten des gelebten Lebens basiert. Seine Assemblagen entstehen aus dem leidenschaftlichen Sammeln von Alltagsgegenständen, kuriosen Zufallsfunden und Reliquien, die er auf Flohmärkten und in Antiquitätenläden findet.
Spoerri, der in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden ist, gehört aber auch zu den Künstlern, die die rheinländische Kunstszene maßgeblich geprägt und bereichert haben. Er gründete 1968 das legendäre „Restaurant Spoerri“ und die „Eat Art Gallery“ in der Düsseldorfer Altstadt und war ein enger Weggefährte von Joseph Beuys. Auf die Düsseldorfer Jahre folgten eine Professur und die Initiative eines „Musée Sentimental“ in Köln.

Daniel Spoerri, der zunächst als Balletttänzer, Regisseur und Poet in der Schweiz und Paris begann, wandte sich Ende der 50iger Jahre mehr und mehr der Bildenden Kunst zu. 1960 gründete er mit seinen Künstlerkollegen, darunter Arman, Yves Klein, Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely die Künstlergruppe der Nouveaux Réaliste. Ihnen ging es in ihrer Kunst nicht um eine realistische Abbildwirklichkeit, sondern sie erklärten die Dinge des Alltags zu ihrem Medium der Kunst. Es entstehen die ersten Fallenbilder von Spoerri, bei denen er ein Stück Alltagswirklichkeit einfängt und wie in einer Falle festhält. Seine EAT ART sind die Zeugnisse von Tischgelagen, bei denen Spoerri die Reste der Mahlzeiten einer Tischgesellschaft mit Leim und Konservierungsstoffen zu einem Objektbild fixiert. Der banale Vorgang des Essens wird zu einem künstlerischen Akt verwandelt. Seine Arbeiten bilden ein Archiv an materieller Kultur, emotionalen Erinnerungen, sinnlicher Wahrnehmung, körperlichen Genüssen, beinah animalischen Trieben und sozialen Riten, die Spoerris Faszination für die tiefen Strukturen des menschlichen Seins offenbaren. Das Werk von Spoerri ist in internationalen Museen und Sammlungen vertreten, und wurde weltweit in Museen präsentiert. Heute lebt und arbeitet Spoerri in Hadersdorf und Wien in Österreich und in seinem IL GIARDINO in Seggiano in Italien.
Das Werk von Spoerri ist in internationalen Museen und Sammlungen vertreten und wurde weltweit präsentiert.
In einem Interview äußerte Spoerri einmal den Wunsch, ein Museum der Unordnung schaffen zu dürfen. Die Langen Foundation mit ihrer klaren und präzisen Architektur bietet einen großartigen Kontrast zur Kunst von Daniel Spoerri, um genau hier einen Ort der Unordnung entstehen zu lassen. Die Ausstellung, in der rund 150 Werke aus wesentlichen Schaffensphasen zu sehen sein werden, würdigt ihn als einen zentralen Akteur der europäischen Nachkriegskunst. Die bedeutenden Werkgruppen und -Medien von den Tableau Piège, über die Piège-À-Mot, Brotteigobjekte, Sevilla-Serie, Carneval des Animaux, Erst letzt das Erste, Was bleibt! bis zu Spoerris Bronze-Werkgruppe der Prillwitzer Idole werden präsentiert.
Die Ausstellung findet in Kooperation mit dem Ausstellungshaus Spoerri in Hadersdorf (Österreich) und der ARTOMA Gmbh (Kunst-und Kulturmanagement) statt.

Die Ausstellung wird mit einem umfangreichen Rahmenprogramm und einem erweiterten museumspädagogischen Programm begleitet. Vorgesehen sind u.a. Themenführungen für Erwachsene und Schulkinder, ein Gespräch mit Daniel Spoerri und der Leiterin des Ausstellungshauses Spoerri und ein Vortrag über die Bedeutung Spoerris für das Rheinland. In Bezug zu seinem Eat Art Restaurant in Düsseldorf sind zudem Konzept-Essen in der Langen Foundation geplant.

 

„Eat-Art“ –Eine Ausstellung mit Ekel-Faktor?

Stillleben mit Essensresten eines Mittags- oder Abendessens. Riecht das streng? Man ist verwundert, dass diese Stillleben nicht etwas eklig Stinkendes an sich haben und den Geruch von Verwesung in die Räume verströmen. Sie sind gut konserviert und verklebt. Das sieht nicht gerade hübsch aus, aber so sieht eben unser Leben aus.

"Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?"

Diese Frage stellt man sich, wenn man die Essenstafeln unter die Lupe nimmt. Welche Persönlichkeiten haben wohl da zusammen diniert? Was wurde in ihren Gesprächen behandelt? Wann haben sich die Persönlichkeiten getroffen? Zu welchem Anlass?

Eat-Art-Objekt von Daniel Spoerri • Foto © Dietmar Wolfgang Pritzlaff


Man fragt sich unweigerlich, wie das mit der Konservierung vonstatten geht, denn sie funktioniert. Der Verfall wurde aufgehalten und eine Situation in einem Stillleben eingefangen. Eklig verschmierte Speisereste auf Tellern und in Tassen, Zigarettenkippen in Aschenbechern, aber oft mit hübschen Tischdekorationen verziert, wie Blumenarrangements und Fischkeramiken. Aber vornehmlich Schildkröten, die über einen Tellerrand schauen oder einfach nur zwischen Tellern lagern. Brotscheiben und Bananenstücke sind konserviert und faulen nicht dahin.

Eat-Art-Objekt von Daniel Spoerri • Foto © Dietmar Wolfgang Pritzlaff


Angefangen hat der Künstler vor dem Abräumen einer Tafel bei Freunden. Anstatt nur ein Foto zu machen, wollte er den gesamten Tisch nach dem Essen zu seiner Kunst machen. Er umrandete die Gegenstände mit einem Stift, damit er sie nachher wieder genauso verkleben konnte, wie sie verlassen wurden. Nach den Umrissen klebte der Künstler die Sachen wieder auf eine Tischplatte.
Später hielt er die Tafeln vor Ort mit Spezialkleber fest, ohne den Augenblick zu verlassen, in dem Zustand, wie sie genau zu dieser Zeit sich befanden.
Kleine Kaffeetafel, noch kleinere Teezeremonien, oder die ganz großen Tafeln. Man soll sich auch fragen, wer getafelt hat, zu welchem Anlass.
Man kann sich gar nicht „satt sehen“ an den vielen kleinen Details in den Werken Spoerris.

Über allem schwebt die Vergänglichkeit der Dinge, besonders in einem abgedunkelten Raum, in dem Totenköpfe auf kleinen Kinderstühlen aufgepfropft, ausgestellt sind. Ein von Innen beleuchtetes Pferdeskelett, mit einer Hülle aus Muschelschalen. Gehörne, Geweihe, ausgestopfte Tiere, Vogelschädel und Pelze zu Objekten arrangiert, erinnern an Überreste indianischer Rituale oder afrikanischer Folklore-Kunst. Das alles wirkt skurril, makaber und morbid. Der Betrachter wird unweigerlich ein gewisses Unbehagen verspüren, wenn eine Schere in den Augenhöhlen eines Totenkopfes steckt, oder eine Puppe mit Akupunktur-Nadeln über und über garniert ist.

 

Totenköpfe von Daniel Spoerri • Foto © Dietmar Wolfgang Pritzlaff

 

Beeindruckend nicht nur die „Eat-Art-Werke“, sondern auch Daniel Spoerris Brot-Teig-Objekte. Aufgegangener Brotteig quillt aus einer Schreibmaschinentastatur, aus Schuhen, aus alten verrosteten Bügeleisen und auf einer Waage.

 

Brot-Teig-Objekt von Daniel Spoerri • Foto © Dietmar Wolfgang Pritzlaff

 

Der Künstler ordnet Fleischwölfe übereinander an und nur diese bloße Anordnung sieht nach mehr aus als nur Fleischwölfe. Die eigenen Assoziationen gehen weit über das, was man sieht hinaus. Gerne möchte man an den Kurbeln drehen oder aus den Öffnungen Töne hören können.
Obwohl Daniel Spoerri mit dem Kinetiker Jean Tinguely bekannt war, übernahm er nicht dessen Ideen der Bewegungskunst.
Bei Daniel Spoerri ist es genau umgekehrt. Der ausgebildete Tänzer will den Augenblick einer Bewegung festhalten, einen Augenblick des Stillstandes, nur ein Bild einer Situation.

Ganze Sammelsurien von Puppen, Rädern, Hüten, Töpfen, Tellern, Bildern, Kannen, Kunststofffarnen, Stahlhelm, Vasen, Gartenzwerg, Plüschtiere, Federn, Lampen, Arme und Beine von Schaufensterpuppen, Kuckucksuhren, Gliederpuppen, Schuhe, Werkzeuge, Plastik-Fisch, Tannenzapfen, Zollstöcke, Fondue-Töpfe, Kuhhörner und noch vieles mehr, werden zu langen Assemblagen arrangiert, um 90 Grad gedreht und an die Wand gehängt.

Als Assemblagen sind Collagen mit plastischen Objekten zu verstehen, die auf einer Grundplatte befestigt sind. Kunstwerke mit reliefartiger Oberfläche, aber auf denen auch dreidimensionale Objekte zu sehen sind.

Es gibt in dieser Ausstellung nur einen Tisch, der auf dem Boden steht, auf dem die Überbleibsel einer Tafel dekoriert sind, zu sehen. So kann man sich vorstellen, wie der Künstler diese Tafel zum Zeitpunkt des Geschehens gesehen und diese dann an die Wand gehängt hat.

Hüte aus Bronze in denen scharfe Macheten, Sägen, Messer und Schneiden stecken, sind auf Kleiderständern montiert. Das wirkt brutal und man vermisst direkt heruntergelaufenes Blut.

Übergroße Bronze-Objekte, mal mystisch verklärter Satyr, mal eine realistische Hummerschere als Kopf, die rot in den Himmel ragt.
Das sieht lebendig aus und hat eine ganz besondere Dynamik, obwohl sich nichts von selbst bewegt.

Ein Museum der Unordnung?

In den Werken des Künstlers Daniel Spoerri gibt es sie, obwohl der Künstler aus dem was er gesammelt hat, sich inspirieren lässt. Anders in seinen Eat-Art-Werken, die er genauso, wie beim Verlassen der Tafeln, festgehalten hat.
Aber ein ganzes Museum der Unordnung? Nein, leider nicht. Da hätte man sich noch viel mehr Durcheinander auf dem Boden gewünscht. Man hätte über Fundstücke steigen sollen und die Werke kaum von dem Boden, den Wänden und der Decke unterscheiden können. Wahrscheinlich wie in dem Atelier des Künstlers selbst.
Wohlgeordnet hängen die Werke an den Wänden und hinterlassen nur auf den Werken selbst, den Eindruck, dass alles ungewollt und nicht extra arrangiert ist. Also nur die halbe Wunschtraum-Erfüllung des Künstlers.

Zu einem Besuch der Ausstellung wird unbedingt geraten und man sollte sich Zeit nehmen, die vielen Details zu erkunden und die Unordnung der Dinge zu betrachten.


 

 

  • 1993: Grand Prix de la Sculpture, Paris
  • 2008: Abrogino d'oro, Mailand
  • 2008: Eckart Witzigmann-Preis
  • 2009: Michelangelo-Preis
  • 2015: Silbernes Komturkreuz des Ehrenzeichens für Verdienste
    um das Bundesland Niederösterreich
  • 2016: Lovis-Corinth-Preis
  • 2020: Niederösterreichischer Kulturpreis

 

  • 1961: Erste Einzelausstellung, Galleria Arturo Schwarz, Mailand
  • 1972: Retrospektive in Amsterdam, Paris und Zürich.
  • 1990: Retrospektive in Paris, Antibes, Wien, Städtische Galerie im Lenbachhaus 
    und Kunstbau München, Genf und Solothurn.
  • 1992: Expo ’92, Schweizer Pavillon, Sevilla.
  • 1995: Stadthaus Ulm, Ulm
  • 1999–2000: SAMMLUNG ESSL – the first view, Essl Museum –
    Kunst der Gegenwart, Klosterneuburg/Wien
  • 2001: FALLOBST – Witz Ironie Kunst, Essl Museum –
    Kunst der Gegenwart, Klosterneuburg/Wien
  • 2001: Retrospektive im Museum Jean Tinguely, Basel
  • 2001: Kunsthalle Villa Kobe, Halle (Saale)
  • 2002: Eine Revue seiner Kunstobjekte, Greith-Haus, St. Ulrich i. Gr.
  • 2003–2004: Permanent 04 – Werke aus der Sammlung Essl, Essl Museum –
    Kunst der Gegenwart, Klosterneuburg/Wien
  • 2005: Esslsbrücke – FotografInnen im Dialog mit Werken der Sammlung Essl,
    Essl Museum – Kunst der Gegenwart, Klosterneuburg/Wien
  • 2007: Passion for Art, Essl Museum – Kunst der Gegenwart, Klosterneuburg/Wien
  • 2009: Ludwig Museum, Koblenz
  • 2010: Städtische Galerie, Kunsthalle Jesuitenkirche, Aschaffenburg
  • 2010: Schloss Achberg, Landkreis Ravensburg
  • 2010: Weißt du? Schwarzt du? Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen
  • 2011–2012: Schönheit und Vergänglichkeit. Immendorff. Kounellis. Music. Quinn. Spoerri.
  • Tàpies, Essl Museum – Kunst der Gegenwart, Klosterneuburg/Wien
  • 2012: daniel spoerri im naturhistorischen museum.
    ein inkompetenter dialog?
    , Naturhistorisches Museum Wien
  • 2014: Vanitas – Ewig ist eh nichts., Georg-Kolbe-Museum, Berlin
  • 2015: Lieben und Haben – Liebhaben.Liebhaber.Sammler. 
    Anlässlich des 85. Geburtstags. Hadersdorf am Kamp(Österreich).
  • 2016: Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg
  • 2018: Daniel Spoerri. every, day, life, Galerie Geiger, Konstanz
  • 2019: Vera Mercer und Daniel Spoerri.
    Aufgetischt!
    , Künstlerhaus Marktoberdorf, Marktoberdorf
  • 2021: Ein Museum der Unordnung, Raketenstation Neuss, Langenfoundation

 


eingestellt am: 05.09.2021