Online-Redaktion: liesmichnet.de


086 - TANZ - Frühlingsopfer in Essen - Pina



Sacre-Ensemble - Foto © Ulli Weiss

 

"Türen, Sofas und rotbraune Erde"

FRÜHLINGSOPFER – 3teiliger-Sacre-Abend – Ein Stück von Pina Bausch

– Neueinstudierung, Opernhaus Wuppertal, Aalto-Theater, Essen

Von Dietmar Wolfgang Pritzlaff

Nach einer aufwendigen Rekonstruktion der Pina Bausch Foundation, bei der ehemalige Mitglieder des Bausch-Ensembles, Tänzer der Uraufführung von 1975, Vivienne Newport, John Giffin, Josephine Ann Endicott und Mari DiLena sich erinnerten und bei der Neueinstudierung halfen. Mit Tanzstudenten des Folkwang-Tanzstudios, Studierende des Instituts für Zeitgenössischen Tanz der Folkwang Universität der Künste und Absolventen des letzten Jahrgangs der Juilliard School of Music in New York, an der Pina Bausch selbst 1960 studierte, gelang die Aufführung des legendären Tanzabend.

FRÜHLINGSOPFER – Dreiteiliger Strawinsky-Abend wurde zuletzt 1979 aufgeführt. Danach bekam der dritte Teil des Tanzabends ein Eigenleben und wurde als zweiter Teil mit dem Stück CAFÉ MÜLLER aufgeführt. Diese Stücke zusammen, wurden bald eines der meistgespielten Tanzabende des Bausch-Ensembles.

Was dort, für junge Tanzfans neu, auf der Essener Aalto-Theater Bühne aufgeführt wurde, überraschte doch sehr. Ein wirklich „nur“ getanzter Tanzabend.
Das erste Stück des Abends WIND VON WEST wirkt wie ein getanzter Traum. Eine Menge Türrahmen links und rechts der Bühne werden durchschritten, durchrannt und durchtanzt. Auf mehreren Traumebenen scheint das Stück zwischen geheimnisvoller Intensität und getragener Melancholie zu schweben. Immer wieder sammeln sich Tänzer und Tänzerinnen zu einer Gruppe, tanzen gemeinsam und lösen sich wieder voneinander. Die Damen tragen leichte, fast durchsichtige Kleider in gedeckten Farben, die Herren in schlabberigen, dunklen Trainingsanzügen. Einzig ein weißes, hell erleuchtetes Bett strahlt auf der Bühne. Eine Frau legt sich zum Ende in das Bett und der Traum endet.

Der zweite Teil des Tanzabends DER ZWEITE FRÜHLING ist überraschend leicht und luftig. Die Bühne ist zu einem Zimmer umgebaut in dem ein älteres Paar wohnt. Sessel, Sofa, Stühle an einem Esstisch, eine alte Komode und Teppiche. So heimelich sah es nie wieder in einem Bausch-Stück aus. Das älteres Ehepaar sitzt beim Abendessen und erinnert sich in Gestalt von jungen Tänzern an alte Zeiten der Zweisamkeit, an Lust, Leidenschaft, Spontanität und Flexibilität. Der Herr war draufgängerisch, höflich fordernd, die Dame verführerisch erotisch und wollte nur tanzen, tanzen, tanzen. Die Dame war auch sein Ort der Ruhe, der Erholung. Eine Szene zeigt den jungen Herrn, wie er sein Haupt auf ein großes Kissen bettet. Getanzte Erinnerungen an vergangene Zeiten. Das Paar findet am Ende wieder näher zueinander. Beide sitzen am Boden und ziehen dem anderen die Schuhe aus. Ein Heimkommen.

Dann folgt die Umbaupause zum dritten Teil. Nicht hinter geschlossenen Vorhängen, sondern auf offener Bühne wird rotbraune Erde aus großen Kontainern auf ein quadratisches Feld geschüttet und mit Rechen verteilt. Das Zuschauer kommen staunend wieder in den Theatersaal, sehen den emensen Aufwand der Bühnenarbeiter an dem Bühnenbild und werden so Teil des Theatergeschehens.

 



Bühnenarbeiter im Aalto-Theater, Essen - Foto © Dietmar Wolfgang Pritzlaff

 



Bühnenarbeiter im Aalto-Theater, Essen - Foto © Dietmar Wolfgang Pritzlaff

 

Pina Bauschs DAS FRÜHLINGSOPFER nach Strawinsky’s LE SACRE DU PRINTEMPS ist auch nach fast 40 Jahren immer wieder ein mitreißendes Stück Tanzgeschichte. Erst war der Tanz und dann das Tanztheater. Hier wird noch „nur“ getanzt. Nach der rythmisch hämmernden Musik tanzen, winden, räkeln sich die Tänzer und Tänzerinnen durch und in der Erde. Immer wieder schlagen sich die Tänzer selbst vor den Bausch, das es einem schon leid tut. Ein rotes Kleid, das erst niemand will, wird Mittelpunkt des Stückes. Eine Frau wird sich später das Kleid anziehen und DAS FRÜHLINGSOPFER tanzen, sie wird zum Frühlingsopfer und tanzt wie bessehen ihren Opfertanz.
Am Ende stehen die Tänzer mit Erde verschmiert, verschwitzt und ausgepumpt, laut atmend vor dem begeisterten Publikum.

 



Sacre-Ensemble - Foto © Ulli Weiss

 

Frenetischer Applaus ist der Dank der Zuschauer für diesen rasanten Teil des Tanzabends. Später erntet der gesamte Abend noch eine Standing Ovation.

Bleibt zu hoffen, dass dieser 3teilige Strawinsky-Abend im Repertoire des Bausch-Ensembles bleibt und noch öfter aufgeführt wird.




Trailer »Das Frühlingsopfer« from Tanztheater Wuppertal on Vimeo
 

 

Teil 1 =    WIND VON WEST
Ein Stück von Pina Bausch

Dekoration:
3 schwarze Türrahmen links und 3 rechts der Bühne, schwarze Vorhänge, links – rechts – und hinten, 1 Bett mit Kissen und weißem Laken, 1 Tisch und Stühle, schwarzer Bühnenboden

Wie ein gespielter Traum / leichte fast durchsichtige Kleider in gedeckten Farben, die Herren in schlabberigen grauen Trainingsanzügen

Gruppe sitzt amt Tisch / 2 Frauen rechts / 1 Frau sitzt auf dem Boden /1 Mann nur mit kurzer Hose – oben ohne steht still am Bühnenende hinten / 1 Bett, wie Krankenhausbett, mit weißem Kissen und Laken / eine Frau tanzt und durchschreitet Türrahmen vorne links und rechts / Gruppe läuft herein / eine Frau legt sich und biegt sich am Boden / nackter Mann von ganz hinten durchschreitet die Türrahmen / Gruppe sammelt sich in hinterer Ecke der Bühne / ein Mann in blauem Trainingsanzug tanzt mit 3 Frauen dann ein Solo / ganze Gruppe kommt durch die Türen / Gruppe ab / Frau tanzt Solo / ein Mann tanzt Solo / eine Frau legt sich ins Bett / ein Mann schüttelt Frau / alle Männer nehmen sich die Frauen und schütteln sie durch / Mann tanzt hinten / Mann in Blau tanzt mit Frau / Mann tanzt ein Solo hinten / Gruppentanz = gewaltige Bewegung nach hinten / 1 Frau rennt durch 2 Türen zu einem Mann beide tanzen / ein Lied erklingt = WIND VON WEST / Frau legt sich ins Bett / nackter Mann steht wieder hinten / Gruppentanz   /// ENDE

3-Applaus-Vorhänge


Teil 2 =    DER ZWEITE FRÜHLING
Ein Stück von Pina Bausch

Dekoration:
Weißer abgedeckter Tisch, 6 Orientteppiche in Tannenbaumform übereinander gelegt, 2 Stühle an rundem gedeckten Tisch, 1 Sessel mit großem roten Kissen, 1 Kommode, 1 Ohrensessel, der Bühnenhintergrund ist grau zu den Seiten nach vorne „vereckt“

Ein altes Ehepaar bei einem Abendessen, es kommen Erinnerungen an frühere Zeiten in den Sinn und nehmen Gestalt an – zu Strawinski-Miniaturen, das Gefühlsleben des alten Paares wird von 3 Frauen und einem jungen Mann durchgespielt, wie es früher mal war

1 Frau in rotem Kleid trappiert ihr Kleid über die Ohren des großen Sessels, 2te Frau in rotem Kleid nimmt Platz in dem kleinen Sessel und stellt das rote Kissen auf ihre Knie, 1 Dame in weiß steht still mit dem Rücken zum Publikum in hinterer linken Ecke, ein Mann steht neben dem Orensessel, das alte Paar nimmt Platz am gedeckten Tisch / die alte Dame serviert Suppe / das Paar trinkt Rotwein / alter Herr will Dame umarmen, sie reißt sich los und holt Essen vom Servierwagen / Herr und Dame essen / Frau in weiß stellt eine rote Rose in eine Vase auf dem Tisch der Herrschaften und knickst hinter dem Sessel des Herrn / Dame stellt sich hinter den Herrn / junger Mann steht vor der Frau mit Kissen / rote Frau auf Ohrensessel räkelt sich, junger Mann benutzt rote Frau und legt seinen Kopf auf ihre Brust / Frau in weiß setzt sich / Mann und Frau in rot auf Boden / Herr steht an der Spiegelkommode und sieht sich ein Bild des alten Paares als es noch jung war an / Dame tanzt an einen Stuhl / junge Mann tanzt mit Dame / der Herr tanzt mit Stuhl zu seiner Dame / Herr tanzt mit Frau in rot vom Ohrensessel / Frau in rot springt jungen Mann an / Herr räumt auf / Herr und junger Mann tanzen mit der lasziven Frau in rot vom Ohrensessel, sie will tanzen und tanzen / altes Paar hauten vor der Verführung ab / der Ohrensessel wird mit altem Paar gekippt und wieder aufgestellt, wie auf einer Hollywood-Schaukel / 2te Frau in rot isst vom Tisch / Frau in weiß tanzt mit jungem Mann, sehr unschuldig, die Frau sitzt dabei auf einem Stuhl und wird vom Mann über die Bühne getanzt getragen / Dame und Herr sitzen auf der Couch / junger Mann sitzt wieder vor der Couch / Frau rot 1 liegt auf der Couch / Frau rot 2 sitzt wieder mit Kissen im Sessel / das alte Paar findet wieder zusammen, beide sitzen am Boden, sie zieht ihm und er zieht ihr die Schuhe aus = wie heimkommen / Dame räumt auf, rennt an den Tisch / Herr will ihr Wein geben, Dame will nicht, trinkt dann aber doch = Herr macht Dame betrunken, aber sie rennen dabei weiter... ///ENDE

4-Applaus-Vorhänge


Teil 3 =    DAS FRÜHLINGSOPFER / LE SACRE DU PRINTEMPS
Ein Stück von Pina Bausch

Dekoration:
Bühnenarbeiter gestalten Bühnenbild, raue Folie wird zu einer quadratischen Fläche ausgelegt, Container mit brauner Erde werden ausgekippt und mit Rechen auf der rauen Fläche verteilt, die Bühne ist bis auf die Brandmauern leer, die Frauen tragen beige Kleider, die Herren tragen oben ohne und dunkle Hosen, eine Frau streift sich irgendwann ein rotes Kleid über und wird zum Frühlingsopfer

Ein ritueller, kultiger Tanz, ein Opfer wird es geben, erst wird ein rotes Kleid von einem zum anderen gereicht, aber niemand will es haben, haben Angst davor, dann streift sich eine Frau das rote Kleid über und tanzt den Opfertanz

Frau auf roten Tuch/Kleid liegt auf der Erde / Frauen stehen im Kreis / 1 Frau drängt sich in den Kreis und geht zu dem roten Tuch, rennt wieder zurück in den Kreis / vor rotem Kleid haben alle Angst / erst reißen sich alle um das rote Kleid, als ein Mann dazukommt / alle stehen im Kreis um das rote Kleid / alle Frauen tanzen und schlagen sich selbst vor den Bauch = wie Selbstkasteiung / Mann sitzt vor rotem Kleid / Mann liegt mit Gesicht im roten Kleid auf der Erde / alle Frauen zusammen / eine Frau nach der anderen laufen weg, trauen sich nicht wieder in Gruppe / Mann befreit sich vom roten Tuch / alle Manner und Frauen im Kreis stehend, dann auf der Seite liegend in Embriostellung, ganz langsame Tanzschritte vor und zurück / Mann stellt sich in die Mitte der Gruppe und beobachtet Gruppe / Jede Frau nimmt einmal das rote Kleid, zeigt es dem Mann und rennt wieder zur Gruppe, eine andere Frau kommt mit rotem Kleid und so weiter / Frauen springen Männer auf die hockenden Beine / Frau hat rotes Kleid an, Frau will wegrennen / Mann hält Frau fest und schiebt sie mit ihren abgestemmten Füßen durch die Erde nach vorne / Gruppe bildet eine Wand aus Leibern, Mann und Frau im roten Kleid stehen davor und legen sich in die Erde / Mann bleibt liegen und streckt die ganze Zeit des Opfertanzes seine Arme in die Luft = sehr anstrengend / rote Frau steht wieder auf und tanzt / Mann hält rote Frau an den Armen fest, sie reißt sich los / rote Frau tanzt Solo = Opfertanz / Gruppe betrachtet rote Frau, wie sie wie besessen tanzt = sich aufopfert und sich austanzt – bis Schluss...  / Alle Tänzer und Tänzerinnen atmen lautstark...  /// ENDE

5-Applaus-Vorhänge

 

 

Frühlingsopfer
Tanzabend von Igor Strawinsky



Choreographie Pina Bausch

Bühne und Kostüme Rolf Borzik

Mitarbeit Hans Pop



Uraufführung 3. Dezember 1975 Opernhaus Wuppertal


Der dritte Teil Le Sacre du printemps des dreiteiligen Strawinski-Abend Frühlingsopfer
wurde bald eigenständig aufgeführt.



Aktuelle Besetzung der Rekonstruktion:

WIND VON WEST
Just Berger, Vladislav Bondarenko, Linda Pilar Brodhag, Ying-Chi Chen, Ching-Yu Chi, Maria Giovanna Delle Donne, Darwin José Diaz Carrero, Cagdas Ermis, Dolores Villegas, Fragoso, Shan Gao, Chang-Wen Hsu, Mandi Huo, Safet Mistele, Jan Möllmer, Roshanak Morrowatian, Blanca Noguerol Ramirez, Julian Stierle, Tsei-Wie Tien, Chih-I Wu, Ophelia Young, Sergey Zhukov

DER ZWEITE FRÜHLING
Luiza Braz Batista, Vladislav Bondarenko, Ching-Yu Chi, Chang-Wen Hsu, Blanca Noguerol Ramirez, Julian Stierle

DAS FRÜHLINGSOPFER
Vladislav Bondarenko, Luiza Braz Batista, Linda Pilar Brodhag, Ying-Chi Chen, Yi-An Chen, Ching-Yu Chi, Léonor Clary, Darwin José Diaz Carrero, Cagdas Ermis, Shan Gao, Paul Hess, Chang-Wen Hsu, Marie Hanna Klemm, Kyungwoo Kwon, Safet Mistele, Jan Möllmer, Roshanak Morrowatian, Blanca Noguerol Ramirez, Julian Stierle, Kai Strathmann, Tsai-Wie Tien, Charlotte Virgile, Simon Wolant, Ophelia Young, Chih-Ming Yu, Sergey Zhukov

 

Bandoneon - Neueinstudierung
24.01. bis 26.01.2014

Café Müller / Das Frühlingsopfer
01.05. bis 04.05.2014

Ahnen - Neueinstudierung
10.05. bis 13.05.2014

Viktor
22.05. bis 24.05.2014



eingestellt am: 29.11.2013