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003 - TANZ - Vollmond - Pina Bausch



Impressionen VOLLMOND Pina Bausch Tanztheater Wuppertal from TANZweb on Vimeo.

Allein im "VOLLMOND"
Das neue Stück von Pina Bausch – Wuppertal – 13.05.2006

Pina Bausch überrascht immer wieder: Zur Uraufführung ihres neuesten Tanztheaterprojektes lässt Pina Bausch, die Göttin des modernen Tanzes, es sich nicht nehmen, ihre Fans schon vorab mit einem Stücktitel zu überraschen. "Vollmond" lautet der verheißungsvolle Titel des Stückes, welches im Wuppertaler Schauspielhaus am Donnerstag, den 11.05.2006 uraufgeführt wurde. Natürlich unter frenetischem Applaus, Bravorufen und stehenden Ovationen. Das ist schon vorprogrammiert.

Von Dietmar Wolfgang Pritzlaff

Das Programmheft zeigt kraftvolle Bilder von Tänzerinnen und Tänzern im nassen Element, dem dieses Jahr in einer furiosen Szene gehuldigt wird. Wie schon in Pina Bauschs Stücken ARIEN, ER NIMMT SIE AN DER HAND UND FÜHRT SIE IN DAS SCHLOSS, DIE ANDEREN FOLGEN, EIN TRAUMSPIEL und WIESENLAND wird Wasser auf der Bühne greif- und hörbar rinnen, rieseln, spritzen und tröpfeln. Einzig ein riesiger Felsbrocken steht auf der Bühne, die geteilt wird von einer Wasserrinne in dem die Tänzer und Tänzerinnen zu weilen schwimmen und sich gegenseitig bespritzen. Der Stein überragt die Wasserrinne. Eine Tänzerin wird im Laufe des Stücks auf einem Gummiboot schlafend durch die Wasserrinne gezogen und führt unter dem Stein hindurch.

Bei anderen Stücken wurde auf das nasse Element in purer Form verzichtet. Stattdessen zeigte uns Pina Bausch Videobilder auf Felsen oder Leinwand projeziert das gewaltige Element Wasser in seiner zerstörenden Kraft oder nur Fische im Wasser, wie in ihren Stücken O DIDO oder NEFÉS. Nun also wieder Wasser pur. Das verspricht einen spritzigen Abend und das Stück hält was es verspricht. Aber davon später mehr.

Neu sind die Figuren in Pina Bauschs aktuellstem Stück. Der Kampf der Geschlechter ist abgeklungen. Frauen werden nicht mehr unterdrückt. Frauen sind nicht mehr Ware, mit der die Herren umgehen, wie es ihnen beliebt. Frauen zeigen jetzt, was sie wollen und nur das. Sie sind stark geworden, sagen ihre Meinung und zeigen das auch deutlich. Oder sie "befehlen" und rufen nach den Herren und lassen sich bedienen. Die Männer sind auf der Suche und dienen den Damen, zur Unterhaltung, zur Stütze und als Begleiter. Manchmal sind sie sogar für Streicheleinheiten und Küsschen gut.

Was also geschieht in Pina Bauschs neuem Werk? Zwei Männer machen Töne mit leeren Flaschen, die sie durch die Luftschwingen. Die Tänzer springen auf die Stühle, worauf die Damen sitzen und geben brav ein Küsschen. Eine Tänzerin sagt: "Ich habe Hunger" und gibt eine Orange ins Publikum. Eine andere beträufelt ihre Arme und Gesicht mit Zitronensaft und sagt: "Heute bin ich sauer". Eine Tänzerin meint: "Bei Vollmond wird man nicht betrunken" und geht süffisant von der Bühne. Eine Reihe Plastikgläser wird von zwei Tänzern für einen Slalomlauf benutzt. Immer schneller bewegen sie sich dabei. Es werden Kunststücke gezeigt. Die Männer wollen beeindrucken.

Die Frauen strecken ihre Arme aus und fast traumwandlerisch drehen sie sich, fast schwebend. Eine der ganz zarten Szenen in diesem Stück. Ein Tänzer bildet mit den Armen einen Kreis, eine Tänzerin stellt sich auf einen Stuhl, streckt die Arme nach vorne und springt Kopfüber in den Kreis aus Armen. Just in dem Moment, in dem die Tänzerin fast durch die Arme zu stürzen scheint presst der Tänzer die Arme zusammen und hält die Tänzerin kopfüber hängend in den Armen.

Die vielen Solotänze scheinen eher von Leid und Ohnmacht zu erzählen. Es werden lange Haare geschleudert und gezogen. An Armen und Beinen gerissen, als ob man sich selbst bestrafen wolle. Immer wieder krümmen und neigen sich die Tänzer und Tänzerinnen.
Selbst Dominique Mercy, ein "altes" Stammmitglied der Bausch-Truppe, sonst eher für den clownesken Part in den Bauschstücken zuständig, tanzt mit Leidensmiene. Hierfür gab es dann auch Szenenapplaus.

Im zweiten Teil des Abends sieht man nach langer Zeit endlich wieder mal zwei Gruppentänze. Rhythmisch zur Musik, alle Tänzer und Tänzerinnen die gleichen Bewegungen. Überwältigend.
Überhaupt ist Pina Bauschs Musikauswahl, dezent und doch mitreißend. Aber nie langweilig.

So ganz kann man sich aber trotzdem nicht auf das Stück einlassen. Zu eng grenzt der Begriff Vollmond die Gefühle ein und findet diese so wenig im Stück wieder. Wer den roten Faden unter diesem Titel sucht, wird zum größten Teil enttäuscht sein.
Wohl dem, der sich auf die vielen Kleinigkeiten einlassen kann. Zum Beispiel streckt und reckt sich eine Tänzerin, erst stehend, dann liegend. Das Publikum würde am liebsten mitmachen. Das ist wieder das Bausch-Gefühl, das ein jeder kennt und das die Bausch-Stücke so einzigartig machen.

Es gibt Momente in denen die Bühne nur schwach beleuchtet wird und eine unheimliche Stimmung aufkommen lässt. Einmal mehr lässt Pina Bausch in diesem Stück die Bühne zum Hauptakteur werden. Es regnet auf die Bühne, blitzt und donnert, das Wasser regnet auf den großen Felsbrocken und spritzt weiter auf den Bühnenboden. Es gibt kaum einen Flecken der nicht dem Wasser ausgesetzt ist. Keinen Unterschlupf, keinen Schutz für die Tänzer*innen. Sie werden durch und durch durchnässt. Stille - und doch hört man noch Regentropfen auf die Bühne fallen. Unheimlich schöne Momente, die man sofort nachvollziehen kann, die in den Bann ziehen und eigene Erlebnissen draußen im Regen, bei Vollmond, erinnern lassen.
Nach einem Regenguss kommen wieder ruhigere Szenen. Vor Staunen hält das Publikum auch den Atem an, um die Ruhe nicht zu stören, wenn eine Tänzerin auf einer Luftmatratze auf dem Wasser in der Wasserrinne unter dem großen Stein hindurch schwimmt.

Ausgelassene, wilde Tänze und Spielereien im Regen reißen das Publikum mit. Zu wummernden Bässen und fein ausgesuchten Elektronik-Musikstücken. Das Schöne an der Musik ist, dass der Zuschauer zwar auch hier keine Musikaufnahmen bei der Aufführung im Theater machen darf, dafür aber eine CD mit allen Musikstücken kaufen und mit nach Hause nehmen kann. Zum ersten Mal überhaupt gibt es eine Musik-CD zum Stück. Und die Musikstücke sind so besonders, dass man sie immer und immer wieder hören kann und nie langweilig werden.
Schade, dass man zu anderen Pina Bausch Stücken keine Musik-CDs kaufen kann, denn die Musik zu den Stücken ist manchmal so ausgefallen, so anders und aus fernen Ländern, dass man sie hier, wenn überhaupt, nur über das Internet, nach langer Recherche identifizieren und dann kaufen kann. Das ist zum größten Teil den Rechteverwertern geschuldet. Wie es gerade zu der CD VOLLMOND kam, ist ein rechtliches Wunder. Also - zugreifen! Es lohnt sich.

Auch wenn der rote Faden einer durchgehenden Geschichte fehlt, sind es gerade die kleinen Momente, die das ganze Geschehen hier zu einem dichten Szenenknäuel verweben. Gerade diese kleinen Momente sprühen vor Witz, Energie, Leichtigkeit und Kreativität. Man ist überrascht, wenn der Tanzabend zu Ende geht, wieviele unterschiedlich ineinandergreifende Geschichten gesehen hat und doch so vieles schon wieder davon schon wieder verblassen. Wie im Leben, bleibt einiges in Erinnerung, manches wir im nächsten Moment schon wieder von der Wichtigkeit eines anderen Moments überholt. So ist das in Pina Bausch Werken. Man muss ihre Stücke öfter sehen und immer wieder und man findet immer wieder Neues, Verpasstes und fragt sich, ob es schon beim ersten Sehen da war. So vieles wird erzählt, gezeigt und getanzt. Wie soll man sich da alles merken?

Und dann der Schluss des Stückes: Ein gewaltiges, furioses Gespritze, Schöpfen und Schaufeln, Tanzen und Laufen mit Wasser und durch Wasser. Wasser von oben und unten. Es regnet von oben und unten fließt das Wasser über die Bühne.

Zum Applaus steht das Bausch-Ensemble triefend nass und erschöpft vor dem Publikum. Stehende Ovationen und Bravorufe für einen "seltsamen" Tanzabend. Und Frau Bausch lächelt sogar einmal kurz beim vierten Vorhang. Was will ein Pina-Bausch-Fan mehr?

 

Nur an vier Abenden konnte man das Vollmond-Stück in Wuppertal sehen. Erst im September erscheint es wieder im Programm. Unterdessen ist Frau Bausch mit ihrem grandiosen Ensemble wieder in der ganzen Welt unterwegs.

Termine: 28., 29., 30. September und 01. Oktober 2006, im Schauspielhaus Wuppertal, Karten Tel. (0202) 569 4444, Vorverkaufsbeginn: 28.07.2006

Weitere Infos und Fotos:
https://www.pina-bausch.de/de/stuecke/detail/vollmond

 

Was geschieht sonst noch im Stück VOLLMOND?

1ter Teil: sehr kurzweilig und kurze Tänze

2 Männer bewegen leere Flaschen durch die Luft um Töne zu erzeugen/ Dominic tanzt nicht ganz als Hampelmann, aber in die Richtung/ Frau zeichnet um ihre Füße große Fußstapfen um sich zu „verteidigen“/ Dominic steigt erst auf 2 Gläser dann setzt er sich/ Mann streckt Arme aus unter die Frau steht und er tätschelt ihren Kopf/ Frauen „befehlen“ Männer: Männer holen Stühle für Frauen, Männer halten Frauen/ Männer springen auf Stühle auf denen Frauen sitzen und geben Küsschen, Männer wechseln sich ab bei den Frauen/ Frau sagt: „Bei Vollmond wird man nicht betrunken“/ Frau gibt eine Orange ins Publikum und sagt: „Ich habe Hunger“/ Mann reißt anderen Mann am Arm und läuft mit ihm im Kreis umher, lässt ihn los und hält ihn wieder/ Mann will anderem Mann das Butterbrot wegnehmen/ Männer schöpfen Wasser in Eimern und befeuchten den Felsen/ Männer und Frauen schwimmen in der Rinne unter den Fels hindurch/ Frau im Gummiboot fährt unter dem Stein auf dem Wasser/ Frau quetscht Zitrone auf Arme und Brust und Gesicht aus und sagt: „Heute bin ich etwas sauer“/ Männer stellen Plastikgläser in eine Reihe auf die Bühne und probieren schnellen Slalomlauf oder Überspringen der Gläser aus um Frauen zu imponieren/ Mann deckt Stuhl mit Decke ab, Frau setzt sich, Mann zieht Decke mit Frau auf die Bühne vom Stuhl und wickelt sich ganz ein/ Mann klettert auf Fels herum/ Frau klettert auf Felsen und trinkt aus einem Glas/ Frau streckt Arm aus und 4 Männer beißen gleichzeitig in den Arm/

2ter Teil:
von lustig bis traurig werden die Tänze, zum Schluss Wiederholungen aus dem 1ten Teil

viele Solotänze, aber auch 2 x Gruppentanz: stehend und auf der Erde sitzend/ Schlussbild: ein furioses Wasserspielen, es regnet auf der Bühne, Männer und Frauen tanzen wild im Regen, bespritzen den Felsen und sich gegenseitig mit Wasser, immer schneller, Frau dippt ihre Haare in die Wasserrinne und schleudert das Wasser aus ihren Haaren/ Frau hängt an einer Stange und wird durch Wasserrinne gezogen/ Frau stellt sich auf Stuhl, Mann macht mit Armen einen Kreis und Frau springt Kopfüber in den Armkreis, Mann schließt schnell die Arme und hält Frau kopfüber in der Luft/ Frau streckt sich, fürs Publikum nachvollziehbar aus Müdigkeit, dann streckt sie sich auch liegend///

 


eingestellt am: 02.01.2007