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177 - FILM - RWF Bonn - Ab 11-09-2021



Plakat zur Ausstellung • Plakat © Bundeskunsthalle, Bonn

 

 

Von Dietmar Wolfgang Pritzlaff

 

Ja und Ja und nochmals Ja. Fassbinder-Retrospektiven sind unbedingt notwendig und nicht nur zu runden Geburts- und Todestagen, sondern immer und immer wieder. Zeigt sich doch in Fassbinders Gesamtwerk mehr als deutlich die Abbildung der deutschen Gesellschaft und den Befindlichkeiten der Bevölkerungsschichten in der Zeitgeschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Vergangene Retrospektiven (Auswahl):
2012 - Filmmuseum München
2014 - New Yorker Lincoln Center
2015 - Gropius-Bau, Berlin
2018 - Österreichischen Filmmuseum
2020 - Film-Werkschau im Berliner Kino filmkunst 66

Und nun vom 10.09.2021 in der Bundeskunsthalle in Bonn. In dieser Retrospektive wird das Werk Fassbinders im Kontext des Zeitgeschehens gezeigt. Insbesondere der Verhältnisse zu der Zeit von 1960 bis 1982. Es wird Bezug genommen auf Zeitgenossen jener Zeit.

Gesprächsteilnehmer der Medienkonferenz • Foto © Dietmar Wolfgang Pritzlaff

 

Gesprächsteilnehmer der Medienkonferenz waren:

• Eva Kraus, Intendantin der Bundeskunsthalle,
• Ellen M. Harrington, Direktorin des DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum,
• Juliane Maria Lorenz-Wehling, Präsidentin der Rainer Werner Fassbinder Foundation,
• Hans Peter Reichmann und Isabelle Louise Bastian, Kuratoren,
DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum,
• Susanne Kleine, Kuratorin, Bundeskunsthalle,
• Sven Bergmann, Pressesprecher der Bundeskunsthalle


Diese Retrospektive ist wichtig und zeigt auch deutlich, dass Fassbinders Weggefährten auf genauso einen Schaffenswütigen gewartet haben.

Ob es die festen Schauspieler*innen waren, die er immer wieder gerne einsetzte, wie Irm Hermann, Ingrid Caven, Margit Carstensen, Hannah Schygulla, Eva Mattes, Kurt Raab, Dieter Schidor, Harry Baer, Volker Spengler, Günther Kaufmann oder seine eigene Mutter Lilo Pempeit, genauso scharrte er sich auch sein Technikpersonal um sich, die jahrelang treu an Fassbinders Seite arbeiteten, wie die Kameramänner Dietrich Lohmann, Michael Ballhaus oder Xaver Schwarzenberger.

Fassbinder soll jeden Tag nach Drehschluss die fertigen Filmmuster mit seiner Crew zur Beurteilung von Licht und Stimmigkeit gesichtet haben. Die Darsteller durften nicht teilnehmen, die waren ihm zu selbstkritisch.

Die Ausstellung zeigt deutlich Fassbinders Arbeitsmethode. War der Alltag auch chaotisch so war Fassbinder in seiner Arbeit penibel und ordentlich strukturiert. Seine Arbeitsvorlagen bis ins Kleinste ausgearbeitet. Mit Szenen-Bildern, Storyboards und Kameraschwenks. Fassbinder hatte immer den Film den er drehen wollte, schon vorher im Kopf. Wusste von Anfang an welche Musik er einsetzen wollte und wann.

Diese Retrospektive zeigt 150 Namen von Personen, die immer wieder in Fassbinders Umfeld auftauchten.
Es gibt eine Zeittafel, 100 Meter lang, durch die gesamte Ausstellung, mit Fassbinders Arbeiten im Kontext der Zeitgeschichte.
Persönliche Dokumente aus dem riesigen Nachlass werden gezeigt. Briefe, zum Beispiel an Romy Schneider, die Fassbinders MARIA BRAUN werden sollte, Briefe an Produzenten, Kalkulationen zu den Filmen, Fotos und Filmausschnitte die den Entstehungsprozess der Filme nachvollziehbar machen. Und alles ist handschriftlich geschrieben.
Fassbinders Drehbuch zu BERLIN ALEXANDERPLATZ diktierte er auf vielen Kassetten und ließ sie von seiner Mutter abtippen und vervielfältigen. Man hört Fassbinders Stimme beim Diktat und sieht die Schreibmaschine, auf der das Manuskript getippt wurde.


Kostüme aus dem Film "Lili Marleen" • Foto © Dietmar Wolfgang Pritzlaff

Kostüme aus großen Fassbinder Filmen, wie zum Beispiel LOLA, DIE SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS, DIE EHE DER MARIA BRAUN und QUERELLE sind ausgestellt.

Auch einige Filmpreise und Bühnenbild-Modell von Theaterinszenierungen darf man in der Ausstellung in Augenschein nehmen.

 



Fassbinders Sofa • Foto © Dietmar Wolfgang Pritzlaff

 

Nehmen Sie Platz auf Fassbinders Sofa. Gemütlich sitzen ist was anderes. Selbst Fassbinders persönlichste Sachen sind in Bonn ausgestellt, wie seine Lederjacke, sein Hut und sein Fahrrad.
Fassbinders Fußball-Leidenschaft würdigt eine ganze Wand allein, mit samt einem Trikot vom FC Bayern, „seinem Verein“.

Es wird ein umfangreiches Filmprogramm geben. Man wird auch versuchen BERLIN ALEXANDERPLATZ in seiner Gesamtlänge von fast 15 Stunden zu zeigen. Das ist aber erst im nächsten Frühjahr geplant.

Es wird öffentliche Führungen durch die Ausstellung, Lesungen, Einführungen zum jeweiligen Film und Gesprächsrunden geben.
Am Samstag, den 11.09.2021 um 18:15 Uhr ist Hannah Schygulla zu Gast und wird über ihr Verhältnis zu Fassbinder erzählen.

 

Alle Informationen zum Programm zur Ausstellung:
www.bundeskunsthalle.de/veranstaltungen

 

 

 

Die Ausstellung zeigt auch die Geschichte des deutschen Films der Nachkriegszeit. Opas Kino aus den 1950er Jahren mit Heimat und Schnulzenfilmen war „tot“, ausgelaugt, vorbei und vergessen. Nach dem Krieg wollte man nur noch vergessen und es wurden kaum Filme produziert, die die Gesellschaft, so wie sie in den 1950er Jahren war, darstellten.

In den 1960er Jahren war endlich ein Aufbruch zu spüren. Zu neuen Ufern, Geschichten und Filmen. Kontrovers, skandalträchtig und einfach neu. Der NEUE DEUTSCHE FILM machte von sich reden und Fassbinder war einer der bedeutendsten Vertreter dieser Epoche.
Es gab natürlich noch andere Regisseure die die Aufmerksamkeit jener Jahre bekamen, wie Volker Schlöndorf, Werner Herzog, Werner Schröter oder Wim Wenders. Alle schwammen auf der Welle des Neuen Deutschen Films mit.

Die ausgehungerten Fernsehsender und Filmproduzenten gierten regelrecht nach neuen Stoffen und Fassbinder gab ihnen reichlich.

Fassbinder dreht schnell, sehr schnell und wieder war ein Film fertig und schon der nächste angefangen. Zwischendurch wurde ein Drehbuch für den übernächsten Film geschrieben. Dankbare Abnehmer waren die ausgehungerten Fernsehsender. Alle wollten das junge Regietalent und finanzierten die Flut der Filme und Serien gerne. Denn endlich gab es große Filme aus vermeintlich kleinen Stoffen.
Wenn keiner finanzieren wollte… OK, dann machte das Fassbinder mit Schuldenaufnahmen meist selbst und schon war der nächste Film im Kasten und wurde auf Filmfestspielen gezeigt.

Große Namen der 1950er Filmära waren fast vergessen und wurden nicht mehr eingesetzt. Sie dümpelten in fast ungesehenen Theaterwelten dahin. Fassbinder holte sie einfach wieder vor die Kamera und bescherte ihnen so ein neues Filmleben und große Erfolge.
So zum Beispiel wurde Brigitte Mira mit 64 Jahren wiederentdeckt und feierte nach ihrem Erfolg als Putzfrau in dem Fassbinder-Film ANGST ESSEN SEELE AUF von 1974 für Jahre danach noch weitere Erfolge in Filmen und Serien.
Karlheinz Böhm den man aus den Sissi-Filmen kannte und kaum noch in Filmen spielte, wollte von dem Image des ewigen Österreichischen Kaisers weg und Fassbinder gab ihm die Möglichkeit ganz andere Charaktere zu spielen. In dem Film MARTHA von 1974 spielt er einen sadistischen Ehemann, in FONTANE EFFI BRIEST auch von 1974, einen steifen Geheimrat, in MUTTER KÜSTERS FAHRT ZUM HIMMEL von 1975 einen Kommunisten, in FAUSTRECHT DER FREIHEIT ebenfalls von 1975, einen ausbeutenden, reichen Schwulen. Endlich war er befreit vom Image der 1950er Jahre.
Karlheinz Böhm, so führte Julian Lorenz aus, war nach Gesprächen mit Fassbinder zu einer andere Weltsicht gekommen und wäre ohne Fassbinder nie nach Afrika gegangen um zu helfen.

Fassbinder holte weitere große Namen der Vergangenheit wieder auf die Leinwand zurück, wie Adrian Hoven, Barbara Valentin, Walter Sedlmayr, um nur einige zu nennen. Sie alle spielten endlich befreit neue Rollen.
Hannah Schygulla hielt eine Rede an Fassbinders Grab und betonte: „Wer wird jetzt die neuen Gesichter entdecken und die alten Gesichter neu? Wer holt jetzt alles aus uns heraus?“

Fassbinder, starb 1982 mit nur 37 Jahren. Er hat seit 1966 45 Filme wie ANGST ESSEN SEELE AUF oder DIE EHE DER MARIA BRAUN gedreht, inklusive mehrteiliger Fernsehproduktionen, wie ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG oder BERLIN ALEXANDERPLATZ.
Er hat 26 Filme selbst oder koproduziert, ist in 21 Filmen anderer Regisseure sowie in 19 eigenen als Darsteller bzw. Gast aufgetreten. Er hat zudem 14 Theaterstücke geschrieben, sechs neu bearbeitet und 25 inszeniert. Vier Hörspiele und 37 Drehbücher sind entstanden; an 13 Drehbüchern arbeitete Fassbinder mit anderen Autoren zusammen.
Außerdem schrieb Fassbinder einige Gedichte und Liedtexte für seine Frau Ingrid Caven. Sie sang sie später bei Chanson-Abenden und stand jahrelang erfolgreich damit auf der Bühne. Man feierte sie besonders in Frankreich.
Ja, er war auch mal verheiratet, der Herr Fassbinder. Gleich zweimal. Mit Ingrid Caven schaffte er 2 Jahre und kurz vor seinem Tod ehelichte er noch in Amerika seine Cutterin Juliane Lorenz. Die Ehe wurde aber in Deutschland nicht anerkannt.

Xavier Dolan, ein kanadisches Regie-Wunderkind von heute, erinnert ein wenig an Fassbinders Schaffenskraft. Zumindest in den ersten Jahren. Er schreibt Drehbücher, produziert, schauspielert und führt Regie und alles gleichzeitig in seinen Filmen. Im Alter von 20 Jahren begann seine Filmschaffenswut. Jedes Jahr ein Film, bis ein Burn-Out ihn dazu zwang, kürzer zu treten.

Geschlafen hat der Mensch Fassbinder wohl wirklich kaum oder nur mit schweren Schlaftabletten. Um wieder zur Höchstform am nächsten Morgen, nach nur ein paar Stunden Schlaf, waren andere Mittelchen notwendig und wurden mehr und mehr.
Er ramponierte seinen eigenen Körper und ließ auch oftmals seine Crew nicht zur Ruhe kommen. So und nur so, konnte Fassbinder, so viel erreichen.

Wer Zugang zu der Fassbinder-Familie hatte, der musste sich wohl unweigerlich auch mit Fassbinders sadistischen Spielchen auseinandersetzen. In solchen Situationen durfte kein falsches Wort fallen, sonst war die Rolle im nächsten Film vielleicht futsch.

Fassbinder wusste was er wollte und was gut für den Film war, den er gerade machte. Das gut eingespielte Team wusste, was Fassbinder wollte und damit erreichte die gesamte Crew eine Drehgeschwindigkeit, wie kaum bei einem anderen Regisseur.
Dabei waren seine Filme fehlerlos. Selbst bei einem Regie-König wie Steven Spielberg hing schon mal ein ungesehenes Mikro im Film oder der Ton war nicht perfekt.
Und das alles gelang einem, der nie auf einer Filmhochschule war, der nicht über eine Regieassistenz zur eigenen Regie gekommen war. Er hatte ein Thema, hatte schon die Bilder vor Augen, von irgendwoher kam jemand mit einer Kamera, dann wurde gedreht.
Bei seinem zweiten Langspielfilm KATZELMACHER gehen die Schauspieler in das Bild und aus dem Bild. Die starren Kameraeinstellungen bei diesem Film wurden legendär. Ein Kunstgriff, riefen Kritiker laut aus. Aber es war anders, wie wir heute wissen.
Aus Geldmangel konnte man sich kein Dolly, keinen fahrbaren Kamerawagen leisten, also wurde starr gedreht.
Und dieser Film wurde überschüttet mit Lobeshymnen und Preisen. Er wurde in Schulen als Lernmaterial gezeigt. Dabei war er nach 9 Drehtagen im Kasten. Genial!

Fassbinders Romanverfilmungen sind genau die geschriebenen Vorlagen und gehen noch weiter. Fassbinders eigene Interpretationen gehen weit über die Romane hinaus.
Wortwörtlich ist FONTANES EFFIE BRIEST und BERLIN ALEXANDERPLATZ in den Dialogen übernommen. Bei beiden Filmen spricht Fassbinder selbst die Beschreibungen aus den Romanen. Es sind wirklich Roman-Verfilmungen, die ihres gleichen suchen. Schon allein dafür, hätte man sie mit Preisen überschütten müssen.

Fassbinders Themen waren nie einseitig und eindeutig. In der Serie ACHT STUNDEN SIND KEINE TAG beleuchtete er die Arbeitswelt, in KATZELMACHER und ANGST ESSEN SEELE AUF, die Gastarbeiter in Deutschland, die Schwulenwelt in FAUSTRECHT DER FREIHEIT und IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN.

Vor Kontroversen schreckte er nie zurück, wie bei dem Theaterskandal in Frankfurt am TAT. Das Stück DER MÜLL, DIE STADT UND DER TOD von 1975 durfte nicht aufgeführt werden. Es handelt von einem reichen Juden in Frankfurt, der eine Prostituierte auf ihren Wunsch hin umbringt. Das Thema durfte nicht an die Öffentlichkeit. Man war Fassbinder Antisemitismus vor.
Daniel Schmidt, ein Freund Fassbinders, verfilmte das Stück in dem Film SCHATTEN DER ENGEL schon 1976 und wurde sogar in den Wettbewerb der Filmfestspiel von Cannes eingeladen und war kein Skandal.
Erst Jahrzehnte später nach seinem Fassbinders Tod wurde das Stück erfolgreich auf die Bühne gebracht und war kein Skandal mehr. Sogar in Israel wurde es gespielt.

Wenn es irgendwie ging übertrat Fassbinder Grenzen, so auch bei dem Episodenfilm DEUTSCHLAND IM HERBST, in dem er sich nackt abfilmen ließ, raucht, säuft, Drogen die Toilette runterspült und seine Mutter anfeindet, wenn sie Terroristen erschießen lassen will.
Den dafür erhaltenen Deutschen Filmpreis, ein Filmband in Gold wollte Fassbinder nie annehmen.

Ein Fassbinder-Zitat besagt: „Ich möchte ein Haus mit meinen Filmen bauen. Einige sind der Keller, andere sind die Wände und wieder andere sind die Fenster. Aber ich hoffe, dass es am Ende ein Haus sein wird.“
Rainer Werner Fassbinder hat es geschafft. Es ist ein Haus geworden, solide, mit Ecken und Kanten, aber das Haus steht noch und wird auch morgen noch Bestand haben, das zeigt die Ausstellung auf eindringliche Weise.

Die Ausstellung in Bonn ist vom 10.09.2021 bis zum 06.03.2022 zu sehen und ein Besuch ist unbedingt zu empfehlen.

 


eingestellt am: 10.09.2021