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011 - TANZ - Für die Kinder... - Pina Bausch



Lisa Gareis/Pina Bausch: Für die Kinder von gestern, heute und morgen
from Lisa Gareis on Vimeo
 

 

"Spiel mit mir"

Wiederaufnahme des Pina Bausch Stückes:
FÜR DIE KINDER VON GESTERN, HEUTE UND MORGEN

Uraufgeführt wurde das Werk am 25.04.2002 im Schauspielhaus Wuppertal. Seither tourt das Tanz-Ensemble damit um die ganze Welt und das Stück wird überall hoch gelobt und gefeiert. Was ist an diesem Stück so herausragend?

Von Dietmar Wolfgang Pritzlaff • 06.12.2007

Das Stück ist eine Spielesammlung, die auffordert mitzuspielen. Es gibt kleine und große Gefühle, die das Publikum nachempfinden kann. Es gibt Geschichten und Erzählungen nach Texten von Péter Esterhazys ("Harmonia Caelistis"), Michael J. Caduto ("Keepers of the Night") und Joseph Bruchac ("How the Bat Came to Be"), die von den kleinen Dingen berichten und große Gefühle auslösen.

Dazu gibt es viele Solotänze, einige besonders energiegeladen, aber auch humorvoll und voller Sinnlichkeit, Zärtlichkeit und Schönheit. Nie war Pina Bausch so zart und behutsam. Das kann aber auch schon mal umschlagen in Wildheit und Trotzigkeit. Manche Tänze wirken wie ein Ausbruch von unterdrückten Gefühlen, andere wiederum ziehen den Zuschauer mit nur kleinen Gesten in großen Bann.

Das Bühnenbild entwarf wieder Peter Pabst, mit dem Pina Bausch schon lange zusammenarbeitet. Hohe weiße Seiten- und Rückwände, ausgestattet mit Schiebetüren, die auch schon mal bemalt werden. Im zweiten Teil des Abends schieben sich die Seitenwände zusammen und mal fährt die Rückwand nach vorne, so dass der Raum immer kleiner wird. Die Starrheit des Bühnenbildes wird aufgebrochen, die Einzelteile werden zu gestalterischen Elementen. Besondere Beleuchtungen kommen hinzu und die Bühne wird zum Kunstraum.

Marion Cito, langjährige Kostümbildnerin des Ensembles, entwarf fast durchsichtige leichte Kleider für die Damen, graue und schwarze Anzüge für die Herren.

Alles wirkt in diesem Stück leicht, unbefangen und voller Heiterkeit, obwohl die Grenze zum Traurigen, Trotzigen, oder Wütenden immer sichtbar bleibt.

So stehen im krassen Gegensatz ein Tanz eines Paares voller Harmonie, im gleichen Moment laufen zwei Tänzer aufeinander zu, schlagen mit ihren Körpern zusammen, prallen ab und landen hart auf dem Boden.

Die Musik ist manchmal nur Untermalung, ein anderes Mal wird Ton für Ton in Bewegung umgesetzt. Und für jeden Geschmack ist etwas dabei, ob es ein Lied von Prince, Nina Simone, Cinematic Orchestra oder von Schockrocker Marilyn Manson ist. Jede Musikrichtung stimmt in diesem Stück und passt wunderbar zu den Bewegungen und oftmals akrobatischen Leistungen der Tänzer und Tänzerinnen des Ensembles.

Die Bühne ist das "Spielzimmer", ob einzeln oder zu mehreren es wird gespielt, miteinander oder auch allein. Es erinnert an ein älteres Stück von Pina Bausch "1980" in dem Erwachsene versuchen wie Kinder zu spielen, aber eben als Erwachsene. In dem Stück FÜR DIE KINDER VON GESTERN, HEUTE UND MORGEN, lässt Pina Bausch die Tänzer und Tänzerinnen spielerisch wie Kinder agieren. Eine Frau und ein Mann hocken auf dem Boden. Die Frau streckt dem Mann eine Hand entgegen und der Mann versucht mit seiner Hand die Hand der Frau zu treffen. Die Frau zieht aber schnell die Hand weg. Die geschieht im Wechsel. Dann aber zieht der Mann seinen Schuh aus und versucht die Hand der Frau zu erwischen. Die Frau zieht danach auch ihre Stöckelschuhe aus und das gerade noch so leicht und lustig daherkommende Spiel, wirkt gefährlich und brutal, dass dem Zuschauer das Lachen im Hals stecken bleibt. Es werden Grenzen ausgelotet und manchmal auch übertreten. Wie die Kinder beim Spielen es tun.

Überhaupt scheint es, als ob das Ensembles herausfinden möchte, was man alles mit dem menschlichen Körper anstellen kann. Ein Mann hält einem anderen ein Feuerzeug unter den Finger und beginnt zu zählen. Der Mann schafft es nur bis 1. Der andere Mann steckt seinen Finger fast unbemerkt in ein Glas Wasser und schafft dann bei der "Feuerprobe" 8 und 9 Zähler. Es wird ausprobiert und ausgetrickst, um besser zu sein als der andere.

Zwei Männer sitzen auf einem Tisch. Einer lässt sich zur Seite fallen und kippt fast auf seinen Kopf. Das Publikum hält die Luft an. Da packt der andere Mann zu und hält den Fallenden im letzten Moment auf.

Wieder mal mit von der Partie Lutz Förster, ein langjähriges Mitglied des Bausch-Ensembles. Wie schon in Pina Bauschs Stück "1980" ist er auch hier einer der Erzähler, der Spieler auf dem Spielfeld. Er erzählt oder liest Geschichten. Einmal fragt er die Tänzerin Nazareth Panadero nach ein paar Minuten Liebe. Sie verhandeln, bis sie sich auf eine halbe Minute einigen. Jetzt umarmen sie sich und der Zuschauer zählt leise die verbleibenden Sekunden mit. Irgendwann stößt die Frau den Mann von sich und fragt: "Und die Uhr?" Der Mann schaut auf die Uhr. Sie verabschieden sich und der Mann fragt: "Und morgen 5 Minuten, ja?"

Ein Teppich mit Sandburgen wird auf die Bühne gezogen. Ein Mann und eine Frau bauen die Sandburgen weiter. Nach einiger Zeit gesellen sich alle anderen Mitglieder des Ensembles hinzu, jeder baut, formt und spielt. Dann ist Pause.

Eine Friseurszene: Vier Männer sitzen auf Stühlen und lassen sich die Haare schneiden. Lutz Förster erzählt Geschichten von dem Vater. Einer der Kunden übersetzt die Geschichten in andere Sprachen.

Eine Frau steht auf einem Ball, dazu versucht ein Mann durch eine lange Stange den am anderen Ende befestigten Ballon aufzublasen und zu fangen.

Eine Frau schlägt mit einer Gabel in einen tiefen Teller und erzählt von Spanien, wo man jeden Abend überall diese Töne vom Eierschlagen hören kann.

Ein Mann wirbelt eine Frau an ihren Haaren im Kreis herum. Eine andere Tänzerin mag nicht mehr spielen und setzt sich immer wieder trotzig auf den Boden. Ein Mann zerrt sie wieder hoch und hinter sich her.

Ein Tänzer im Tutu mit einer Gießkanne in der Hand wird von einem anderen Tänzer über die Bühne "gepustet", so leicht tänzelt der Mann im Tutu über die Bühne. Er versucht immer wieder mit der Gießkanne zu gießen, aber dann wird er wieder "weggepustet".

Frauen und Männer bürsten sich mit großen Bürsten, auch einige Zuschauer werden gestriegelt. Ein Mann sagt zu einer Tänzerin: "Du riechst so gut. Was hast Du gekocht?" Sie duftet nach mehreren Gerichten. Eine Frau erzählt wie sie zum Tanz gekommen ist. Sie hat die Waden einer Tänzerin bewundert und wollte gerne auch so welche. Heute hat sie auch solche tollen Waden.

Zwei Männer jagen sich auf rollenden Gerätschaften über die Bühne. Eine Frau legt sich mit einem Kopfkissen auf die Bühne, steht wieder auf und fragt: "Habe ich nicht schön geschlafen?" und man möchte ihr dies bestätigen. Abschiedsfloskeln werden probiert: "Man kann nicht alles haben", "So nicht", "Dann besser so", und "Es gibt ja noch so viele Andere".

Die Solotänze reißen mit, sind jeder auf seine Art beeindruckend und so verschieden, wie ihre Tänzer und Tänzerinnen.

Einmal kommt es zu einem Gruppentanz auf dem Boden und in dem weißen Raum erinnert man sich an Pina Bauschs Stück: TWO CIGARETTES IN THE DARK. In sitzender Haltung schiebt sich die Gruppe nach vorne. Vorne angekommen stehen sie auf, rennen nach hinten und beginnen erneut den Tanz.

Es gibt drei herausragende Tänze an diesem Abend: Zum ersten ist da ein großer Mann und eine kleine Tänzerin. Das wirkt erst komisch, aber dann stemmt, trägt und bewegt der große Mann die kleine Frau so sacht, behutsam und zärtlich wie kaum ein Paartanz bei Pina Bausch es jemals war. Ein völlie harmonisch, einfach nur wunderschön anzusehender Tanz.

Zum zweiten ist es Dominique Mercy, ein Pina Bausch-Tänzer der ersten Stunde sozusagen, der ein Solotanz voller Wehmut, mal traurig, mal wild vollbringt. Am Ende, wenn die Musik schon verklungen ist, tanzt Dominique weiter, seine Bewegungen werden immer weicher und fließender und ganz langsam "schleicht" er sich von der Bühne. Man hätte eine Stecknadel fallen lassen können, so gebannt war das Publikum.

Der dritte Glanzpunkt ist der Tanz von dem Gasttänzer Lutz Förster, der nach Jahren der Abstinenz mal wieder im Ensembles ist. Ganz allein in einem dunklen Anzug steht er im Scheinwerferlicht. Er steht da und bewegt fast nur seine Arme, Hände und Finger und drückt doch so viele Gefühle gleichzeitig damit aus. Begeisternder Zwischenapplaus war die Belohnung.

Ein heiterer, bewegender Tanzabend, der noch lange nachwirkt. Darum also ist dieses Stück so gefeiert, aber welches Pina Bausch Stück wird das nicht?

Zum Schluss steht das Publikum vor einer gut gelaunten Pina Bausch und zollt ihrem Stück, ihren Ideen, ihrem grandiosen Ensembles frenetischen Applaus und Bravorufe.

Leider gibt es keine weiteren Aufführungen des Stückes in Wuppertal. Das Ensembles wird man erst wieder im Mai 2008 in Wuppertal begrüßen können. Dann aber zu dem neuesten Pina Bausch-Abend.

Schon mal vormerken:
Uraufführung NEUES STÜCK 2008 – 30. Mai 2008 im Wuppertaler Schauspielhaus
Der Vorverkauf beginnt 31.03.2008

Weitere Informationen unter: https://www.pina-bausch.de/de/
Hier findet man auch den aktuellen Tourenplan und Informationen zu allen Stücken.

Weitere Infos und Fotos zum Stück:
https://www.pina-bausch.de/de/stuecke/detail/fuer-die-kinder-von-gestern-heute-und-morgen

 

Dekoration:

1. Teil: weiße Wände, hohe Türen, die Bühne als „Guckkasten“

2. Teil: die weißen Wände mit Türen rücken in die Mitte, die Rückwand fährt nach vorne, verkleinern den Raum

 

Spielscenen und Assoziationen:

1ter und 2ter Teil:

viele energische aber auch humorvolle Tänze, einige sinnliche und zärtliche Tänze, nur einmal Gruppentanz auf Boden, wie AUF DEM GEBIRGE...  oder TWO CIGARETTES... / Lutz steht allein im Scheinwerferlicht, mit minimalen Bewegungen tanzt er einen Steh-Tanz, lustig und schön / Dominique tanzt traurig ein Solo / die TänzerInnen betreten den Raum eine Art Spielwiese um zu spielen, aber auch mal traurig sein + wütend, brutale Spiele und Tänze / 1 Mann kippt sitzend vom Tisch und wird im letzten Moment von 2tem Mann am Fuß aufgefangen, er bringt ihn wieder in sitzende Lage / Lutz erzählt Geschichten oder liest vor / Lutz will Liebe mit Nazareth, nur eine halbe Minute, sie umarmen sich auf Zeit, zum Schluss fragt er: „Und morgen 5 Minuten, ja?“, Nazareth antwortet: „Mal sehen“ / WAS MAN ALLES MIT DEM KÖRPER ANSTELLEN KANN / wie lange hält man Feuer unterm Finger aus / Sandburgen werden gebaut, eine art Sandkasten auf Teppich / Friseurszene: Lutz unterhält die Kunden mit Geschichten von und über seinen Vater, Dominque übersetzt den Text für die ausländische Kundschaft / Mann wirbelt Frau an Haaren im Kreis / ein Mann nimmt einen anderen Mann die Frau, die Spielpartnerin weg / Frau seht auf Ball, Mann versucht einen Ballon durch eine lange Stange aufzublasen und ihn dann zu fangen / Dominique im Tutu wird wie eine Feder von einem Mann über die Bühne „gepustet“ / Nazareth beim Eier schlagen, in Spanien hört man das abends überall / Mann riecht an Frau, was sie gekocht hat, verschiedene Gerichte / Frauen und Männer bürsten sich unde dem Publikum „wild“ die Haare / „Clementine“ hat tolle Waden, eine Frau schwärmt darüber / 2 Männer auf „Rollen“ jagen sich über die Bühne / eine Frau trotzig = wird von Mann gezerrt, sie lässt sich immer wieder auf den Boden fallen, er zerrt sie wieder hoch und hinter sich her / Frau legt sich auf Kopfkissen und fragt: „Hab ich nicht schön geschlafen?“ / Abschiedsfloskeln = Man kann nicht alles haben, So nicht, dann besser so, alles hat ein Ende / Lutz lässt sich den Nacken von 2 Männern massieren

 


eingestellt am: 09.12.2007